Warum über Sturmhauben reden?

Nach dem hier erreichen mich Beschwerden aus der Leserschaften und dem Freundeskreis. Wieso über Masken reden statt über Musik? Oder: Wieso über Masken reden, wenn die Musik scheiße ist? (Das ist nun aber Geschmacksache.)

Antwort: Weil es beim Pop doch nie nur um Musik ging, sondern immer um Klang und Körper, Körper und Klang. Körper heißt: Wie eine*r aussieht, auftritt, sich anzieht, sich bewegt.

Das hilfreichste (weil wunderbar kurze und klare) Zitat dazu stammt von Diedrich Diederichsen und erschien in einem Interview mit der De:bug vor bald zehn Jahren:

»Pop-Musik klingt immer so, dass ich wissen will, wie die Person aussieht, die diesen Klang verursacht.«

Das kann man eigentlich so stehen lassen, als zentrale These, als Glaubenssatz. Aber trotzdem schnell noch ein bisschen weiter mit Diederichsen:

»Da komme ich schon zur nächsten Ebene, ich kann gar nicht weiter, ohne dass diese Neugier entsteht. Und dann ist die Frage, wo finde ich dieses Bild? Finde ich es im Umfeld der Tagesthemen, meiner Eltern, oder finde ich das Bild an einem verrufenen Ort, riecht es drumherum nach Haschisch?«

Das Pop-Erlebnis ist demnach immer ein multisensorisches und es ist immer ein Prozess, in dem sich der oder die Rezipient*in etwas erschließt und zusammensetzt.

Allerdings könnte man heute fragen, ob sich die Reihenfolge von Bild und Klang inzwischen umgekehrt hat. Wenn heute Bilder schneller reisen als Klänge (und Instagram also das ist, was in Diederichsens Ausführung noch das Radio oder ein Tonträger war), dann kann man vielleicht auch sagen:

»Pop-Musik sieht immer so aus, dass ich wissen will, wie die Person klingt, die dieses Bild verursacht.«

Das einen zwar der Klang elektrisieren kann, aber das Bild enttäuschen (und andersherum) ist dabei natürlich möglich.

Quelle der Zitate von Diedrich Diederichsen ist das Interview mit Sascha Kösch und Timo Feldhaus von De:Bug (Ausgabe Nr. 180, 3/2014), hier online, S. 26–29.

Hallo, Joachim Franz Büchner Band

Na, das klingt doch wie ein guter Anfang. Guter move auch, das Soloalbum mit einem Duett anzukündigen. Solo wie allein war jetzt schließlich lang genug. 

OK, der Typ heißt also Franz Joachim Büchner. Schon mal gesehen bei Bürgermeister der Nacht. Und wer singt da mit? Ist das nicht die eine von dieser tollen, leider verschollenen Band Zucker? Ja, ist sie.

Und der zweite Song, den man schon jetzt vom Joachim-Franz-Büchner-Band-Album hören kann, Plan 9 aus dem Weltall, ist nicht nur eine Verneigung vor dem Trashfilmregisseur Ed Wood, sondern auch vor Trümmerfrauen, dem Theme Song von Zucker. Toll. Apropos: Was machen eigentlich Trümmer?

Ich deute diesen Song als Vorboten nicht nur des kommenden Albums, sondern auch einer Zeit, in der wir endlich wieder auf Konzerte gehen werden. Und zwar auf viele. Oder?

[Update, 28. Juni 2021] Sieh an! Kaum ist die Frage ausgesprochen, kommt schon die Antwort: Ein neues Trümmer-Album ist für den 17. September angekündigt, hier kann schon man den ersten Song hören.

Sonntagmorgens in Harlem

Eine meiner Lieblingspopsongzeilen stammt aus Harlem, dem – wie mir strenge, popbeflissene Freunde einreden – mit seinen Streichern vielleicht etwas zu kitschig instrumentierten, ansonsten aber ganz fantastischen Song von Bill Withers aus dem Jahr 1971 (man kann ihn hier auf YouTube nachhören).

Bill Withers beschreibt dort das Leben in Harlem zu einer Zeit, als sich noch keine früheren US-Präsidenten mit ihren Büros in dem Stadtviertel niederließen, als es noch nicht mal Starbucks-Filialen gab, dafür herzlose Vermieter, betrügerische Prediger, viel Armut und jeden Sonntagmorgen ein besonderes Spektakel:

Sunday morning here in Harlem
now everybody’s all dressed up
the hip folks are getting home from the party
and the good folk just got up.

Das ist das vielleicht beste Beispiel für Hemingways Eisbergmodell, das ich kenne: Gerade mal 26 Worte, die ein Bild entstehen lassen, das ich nicht mehr vergessen konnte.

26 Worte, die eine ganze Welt entstehen lassen. Man ahnt, welche Konflikte es hier gibt. Zwischen Nachbarn, aber auch in Familien, zwischen den Eltern (good folk), die noch ihrer Südstaaten-Frömmigkeit anhängen und den Kindern (hip folks), die darauf bestehen, dass es in der Großstadt doch gerade nicht darum geht, seine ländlichen Traditionen zu pflegen, sondern ums Sich-neu-erfinden.

Dass man Sonntagmorgens seine besten Kleider trägt, darauf können sie sich immerhin noch einigen.

Aber … es ist eine Popsongzeile. Und man tut in der Regel gut daran, die nicht zu wörtlich zu nehmen. Denn auch im Pop geht es ums Sich-neu-erfinden.

Da rappt Kanye West zum Beispiel in We Don’t Care, dass er als Kind zu den Dealern aufgeschaut habe, weil das die einzigen Erwachsenen gewesen seien, die nicht komplett pleite waren. Tatsächlich war West aber der Sohn einer Uni-Professorin, so schlimm kann’s also nicht gewesen sein.

Und Bill Withers schildert Straßenszenen in Harlem, die kleinen und großen Dramen des Lebens in diesem Viertel, als sei er ein intimer Kenner dieser Straßen. Tatsächlich wuchs er aber in Kleinstädten auf, reiste um die Welt, lebte am anderen Ende Amerikas in LA … und bevor er diese Platte aufnahm offenbar nie länger in Harlem.

Einer, der in Harlem aufgewachsen ist und bis heute dort arbeitet, der Modedesigner Daniel R. Day a.k.a. Dapper Dan schildert in seinen Memoiren Made in Harlem (über die ich neulich schon ein paar Zeilen geschrieben habe) aber exakt dieselbe Szene wie Bill Withers:

On Sunday mornings at eleven o’clock, everybody emptied out into the street, the whole neighborhood heading to their preferred churches. […] I remember coming out to the stoop with my mother and my siblings on our own way to church and seeing how beautiful that looked: the good people of Harlem walking around in their finest clothes, while the bad people of Harlem would be creeping back home from a long night at the bars and after-hours spots. Seventh Avenue in Sunday morning, nicknamed the Stroll, was the greatest runway in the world.

Das sind etwas mehr als 26 Worte, aber Day beglaubigt, was Withers in Harlem singt. Ich würde größere Geldbeträge darauf wetten, dass Day (und/oder sein Ghostwriter Mikael Awake) den Withers-Song kennen, aber macht ja nichts: das hat die Erinnerung vielleicht sprachlich geformt, aber es hat sie nicht erzeugt.

Bill Withers hat keinen Scheiß gesungen, die Szene von den aus unterschiedlichen, unvereinbaren Gründen bestmöglich gekleideten Leuten am Sonntagmorgen ist nicht ausgedacht. Und jetzt, wo ich den Song noch mal gehört habe, finde ich auch die Streicher eigentlich gar nicht mehr so schlimm.

Zivilisationspop vs. Kulturschlager 

In den vergangenen Wochen machte Christine and the Queens die Runde durch internationale Medien. Ein Superstar in Frankreich! Und die Welt sagt: Wow.

Jetzt macht (nach der Forbes-Enthüllung) Helene Fischer die Runde durch internationale Medien. Ein Superstar in Deutschland! Und die Welt sagt: WTF.

Sorry, Thomas: Das ist das eindeutige 1 zu 0 im Spiel Zivilisationspop gegen Kulturschlager.

Miley Cyrus & die Pornografie: Keine so unkomplizierte Sache

Video: Miley Cyrus in Tongue Tied (Regie: Quentin Jones)

Anfang der Woche machte die Meldung die Runde, Miley Cyrus habe einen Film bei einem Porno-Filmfestival eingereicht. Zuerst berichtete die New York Post. Dann griffen Klatschseiten in aller Welt die Meldung auf (auch Amy & Pink, wo ich zum ersten Mal davon las). Kein Wunder. Es war eine krasse Nachricht.

Man konnte einwenden: Miley Cyrus? Die lässt doch von VMA 2013 bis V Magazine 2015 keine Gelegenheit aus um aufzufallen – mit Fotos, Videos und Performances, die schon oft als »pornografisch« beschimpft worden sind. Außerdem hieß es in der Meldung, sie habe nicht eigens einen Pornofilm gedreht, sondern einen Clip namens Tongue Tied eingereicht, den ihr Quentin Jones ursprünglich für ihre Bangerz-Tour produziert hatte.

Trotzdem: Dass eine Sängerin eines ihrer Musikvideos als Porno deklariert, der gleichberechtigt zwischen anderen Pornos laufen soll, ist eine Ansage. Noch dazu, weil das NYC Porn Film Festival, das Tongue Tied in sein Programm aufgenommen hatte, von der Wichsfilmseite Pornhub finanziert wird.

Seit vielleicht zehn Jahren ist von der »Pornografisierung« der Popmusik die Rede. Doch Leute, die dieses Schlagwort im Mund führen, meinen oft bloß, dass weibliche Musikerinnen zu viel nackte Haut zeigen und männliche zu viel von Sex quatschen. Kann man drüber reden, klar, aber diese Tendenz gibt’s spätestens seit Josephine Baker und Bo Carter. Also circa seit den 1930ern.

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Fünf deutschspachige Popsongs, die erstaunlich wenig nerven

Kreisky: Selbe Stadt, anderer Planet (vom Album Blick auf die Alpen, 2014)

»Kennste Kreisky? Die Band?« – »Joah«, antwortet der Freund aus München und könnte nicht unüberraschter klingen. Okay, ich bin spät dran. Wie halb Norddeutschland. Wir hören halt wenig FM4 hier. Es dauert, bis österreichische Bands nach Hamburg vordringen. Was bedauerlich ist, denn Kreisky hätte ich ruhig schon vor ein paar Jahren entdecken können. Diese Band (aus Wien) hat mein Vertrauen in die Popmusik wiederhergestellt.

Denn: Wow, es gibt noch deutsche Texte, die nicht nerven! Wow, es gibt noch Songs mit Gitarren, die nicht nerven! Alter, machen die gute Videos! Vergleichen Sie zur kritischen Überprüfung der unanfechtbaren Wahrheit dieser Thesen bitte auch dieses & jenes & nicht zuletzt das hier aus dem Frühwerk der Band.

Blick auf die Alpen heißt das neulich veröffentlichte neue Album von Kreisky. Es wird sich zirka Mitte Dezember als eines der besten des Jahres 2014 erweisen. Glaube ich ganz fest.

Zucker!: Alles Amazing (vom Sampler Keine Bewegung, 2014)

Wir waren schon auf einem halben Dutzend Zucker!-Konzerte gewesen. Übertreibe ich? Jedenfalls fühlte es sich so an. F. und ich hatten die Band zuerst im Nachtasyl gesehen, das war ihr allererstes Konzert, Zucker! waren damals Vorgruppe eines Acts, dessen Namen ich inzwischen vergessen habe.

Es folgten Auftritte im Pudel, in der Astra-Stube, jetzt im Golem. Ich hatte dafür den halben Freundeskreis mobilisiert – und versprach ein Konzert, von dem wir noch unseren Enkeltöchtern erzählen würden.

Trotzdem war F. enttäuscht. »Unerhaben« fand er den Auftritt, wegen des schlechten Sounds. C. war auch nicht begeistert: »I would have expected two bombshells«, sagte er. J. gefiel es gar nicht so schlecht und er begann gleich zu Theoretisieren (»Krautrockschlager … Techno mit den Mitteln des 80er-Synthiepop … «).

Genörgel, Chauvinismus, Intellektualitätsvortäuschung – normalerweise bin ich dafür zu haben, aber heute interessierte mich nur, was M. zu sagen hatte. Ich erzählte ihr, dass ich nach jedem Zucker!-Konzert das unbedingte Verlangen verspürte, endlich selbst eine Band zu gründen. M. sagte: »I thought exactly the same thing.« Amazing.

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Pop, Mode, Tanzen: Einblicke in die ZEIT CAMPUS-Ausgabe 3/14

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Dies ist die neue Ausgabe von ZEIT CAMPUS, Nr. 3/14. Nachdem unser letztes Heft einen stärkeren politischen Einschlag hatte, herrscht jetzt eine frühlingshafte Unbeschwertheit mit Themen wie Popmusik, Mode, Tanzen …

… auf den ersten Blick. Denn tatsächlich geht es im neuen Heft auch um das prekäre Leben von jungen Musikern und um den Rassismus im Mode- und Designbetrieb. Soviel zur mangelnden akademischen Unverkrampftheit. Seicht werden wir erst, wenn wir alt sind. Vielleicht. Hoffentlich nicht.

Hier einige Einblick ins Heft mit kurzem Kommentar zu den Beiträgen, die mir besonders am Herzen liegen:

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Tellavision: neu in der Nachbarschaft & herzlich willkommen

Video #1: Die neuen Nachbarn brauchen Kohle, damit sie Platten machen können

Das mit der Gentrifizierung hat mal wieder blendend funktioniert, dachte ich, als ich in der Signatur einer Promo-E-Mail neulich den vertrauten Straßennamen entdeckte. Weil: Moment, es gibt jetzt Indielabel-Presseleute zirka fünf Häuser von hier entfernt? Früher wohnten hier doch ausschließlich Rentner?! Vor zwei Jahren, oder so?

Meine Damen & Herrn, es ist offiziell, Bahrenfeld wird das nächste große Ding in Hamburg. Indizien: Das Netzwerk des Labels Bloody Hands reicht bis in die Gegend. Inzwischen gibt’s um die Ecke auch ein Mälzer-Restaurant. Und ein Künstlerhaus, zu dessen Eröffnung die Kultursenatorin vorbeischaut.

Schade für alle, die gerade nach Wilhelmsburg gezogen sind.

Wobei ich nicht sicher bin, ob Indielabelleute im Vergleich zu Rentnern wirklich eine ökonomische Aufwertung des Viertels bedeuten. Aber vielleicht stehen sie nicht gleich vor der Tür und beschweren sich, wenn nach 22 Uhr noch der Plattenspieler läuft? Das wäre mir Lebensqualitätssteigerung genug.

Reden wir also über Musik.

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