Dieser Mann sucht ein neues Elementarteilchen

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Der Physiker Axel Lindner will in einem alten Tunnel unter dem Altonaer Volkspark das bisher Unmögliche schaffen — und Dunkle Materie sichtbar machen.

Sein Experiment ALPS II ist im Tunnel des Teilchenbeschleunigers Hera aufgebaut, der vor anderthalb Jahrzehnten stillgelegt wurde, 25 Meter tief unter dem Park.

Es handelt sich um einen komplizierten Apparat aus einem Hochleistungslaser, Spiegeln, sehr starken Magneten und Detektoren. Im besten Fall könnte es damit gelingen, die Existenz von Axionen nachzuweisen, das sind sehr kleine und leichte Elementarteilchen.

Theoretiker gehen davon aus, dass Axionen mit ihren Kraftfeldern die Anordnung der Quarks beeinflussen. Sie wissen schon: je drei Quarks bilden ein Proton oder Neutron, diese wiederum bilden Atomkerne, diese stecken in Atomen, diese sind Bausteine aller Materie.

Außerdem, glaubt Lindner, könnte auch die Dunkle Materie im Universum (von der man weiß, dass sie existieren muss, weil man die Wirkung ihrer Kraftfelder beobachten kann) aus Axionen besteht.

Bisher weiß aber niemand, ob Axionen existieren, sie sind lediglich eine Idee.

Mein Artikel über Axel Lindner, der beim Forschungszentrum Desy das Experiment ALPS II leitet, ist ab heute in den Hamburgseiten der ZEIT zu lesen. Dort ist Lindner, dessen Messungen im Mai starten werden unser »Mensch des Monats«.

Das Porträt Lindners auf der Zeitungsseite hat Jewgeni Roppel aufgenommen.

Guerrilla Girls & feministisches Grafikdesign

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Müssen Frauen nackt sein, um im Museum gezeigt zu werden? Das fragten die Guerrilla Girls, eine amerikanische Künstlerinnengruppe, Ende der Achtzigerjahre.

Die Frage war rein rhetorisch, denn die Guerrilla Girls hatten nachgezählt, auch das stand auf dem Poster: Im Metropolitan Museum in New York, einem der großen enzyklopädischen Kunstmuseen der USA, das von der Steinzeit bis in die Gegenwart alles sammelt, was man für kulturell bedeutsam hält, zeigten 85 Prozent aller Aktdarstellungen Frauenkörper, während weniger als fünf Prozent der modernen Künstler weiblich waren.

Also nein, Frauen mussten nicht nackt sein, um im Museum gezeigt zu werden. Doch es erhöhte ihre Chancen ganz wesentlich.

Zu sehen ist das Poster jetzt im Museum für Kunst & Gewerbe, in der neuen Sonderausstellung The F* Word: Guerrilla Girls und feministisches Grafikdesign. Der Anlass der Ausstellung ist der Ankauf des Gesamtwerks der Guerrilla Girls durch das Museum für Kunst & Gewerbe. Und da die Künstlerinnengruppe immer noch aktiv ist, hat sie auch dort mal nachzählen lassen und ein neues Poster gestaltet, das an der Fassade des Museums hängt.

Zu sehen ist darauf ein Franzbrötchen, das die 400.000 Arbeiten in der grafischen Sammlung repräsentiert. Daneben liegt ein kleiner Krümel, der für den Anteil der Werke von Frauen steht: 1,5 Prozent. Ein noch viel schlechteres Ergebnis als damals im Met.

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Mit Bismarck am Badestrand

Bismarck

Auf der Nordseeinsel Norderney pflegt man ein entspanntes Verhältnis zum Kaiserreich — und damit auch zur eigenen Geschichte.

Überall findet man hier Spuren der Vergangenheit als königliches Seebad: An einer Pension klärt ein überdimensioniertes Schild darüber auf, dass Bismarck einst in diesem Mauern nächtigte. Andernorts informiert eine Tafel vor der früheren Villa Fresena, dass man hier vor Fürst von Bülows Sommerresidenz stehe und damit vorm »sommerlichen Mittelpunkt der Reichspolitik«.

Die Hotels heißen »Germania« und »Haus Kaiser Franz Josef«, Straßen sind nach Kaiser, Kanzler oder Generalfeldmarschall benannt. Das alles bleibt unkommentiert. Seit der inhabergeführte Buchladen der Insel durch eine Thalia-Filiale ersetzt wurde, liegen auch keine Studien zum Bäderantisemitismus mehr in den Auslagen, sondern nur noch Ostfriesenkrimis und Romane über die »goldenen Zwanziger«.

Ein Störgeräusch in diesem nostalgischen Idyll geht ausgerechnet vom Kaiser-Wilhelm-Denkmal vor der St.-Ludgerus-Kirche aus (rechts im Foto). Ab 1898 wurde es errichtet und sollte die Reichseinigung symbolisch nachvollziehen, indem man dafür Steinblöcke aus 75 Städten und Provinzen auf die Insel karrte. Es sind Steine aus Aachen und aus der Kölner Stadtmauer dabei, aus Posen und aus Fehrbellin, lauter symbolträchtiges Geröll.

Wegen der unterschiedlichen Formen der Steine ist das Bauwerk aber krumm und schief, das macht seine geradezu visionäre Kraft aus: Da steht also ein Denkmal des deutschen Nationalismus und wäre so gern eine Siegessäule, doch es sieht bloß aus wie ein Haufen Bombenschutt.

(Das Meer und die Dünen und die Architektur und der eiskalte Wind sind natürlich trotzdem unschlagbar.)

Apropos! Während ich hier urlaube haben meine Kolleg*innen auf ZEIT ONLINE ein Interview veröffentlicht, dass ich neulich mit dem Kunsthistoriker Jörg Schilling führte. Wir sprachen über das Bismarck-Denkmal im Alten Elbpark in Hamburg, seine Geschichte, seine Bedeutung. Klicken Sie dafür hier.

Ein Jahr seit dem russischen Überfall

Russland

Ich kam heute am Generalkonsulat der Ukraine in Hamburg vorbei, Mundsburger Damm, Alsterufer. Es war ein kühler, sonniger Tag — genau wie bei einem früheren Besuch, fiel mir ein.

Damals hatte man hier den Asphalt der Straße kaum sehen können vor Menschen und Solidaritätsfahnen. Das war Anfang März 2022, ich habe noch einen Schnappschuss davon auf dem Handy gefunden. Links, das Haus mit der Fahne, ist das ukrainische Generalkonsulat.

Auf dem Rückweg fuhr ich heute am Feenteich vorbei, dort steht ein zweites Generalkonsulat, das russische. Ein stummer Protest auf der Straßenseite gegenüber: Jemand hat Luftballons in den Nationalfarben jenes Landes aufgehängt, in dem russische Raketen seit bald einem Jahr wieder und wieder in Wohnhäuser einschlagen und in dem russische Soldaten morden. Polizeiwagen parken hier, man könnte fast denken, auch sie trügen diese Farben.

Nur etwas mehr als ein Kilometer trennt die beiden Häuser, etwas weniger als ein Jahr die beiden Fotos. Es ist in der Zwischenzeit doch ziemlich still geworden in Hamburg.

Hamburger Arroganz feat. Kurtis Blow

Ein wunderbares Fundstück deutscher Popgeschichte, gepriesen sei YouTube. WTF ist das? Hier erklärt’s André Luth (Yo Mama / Fettes Brot Schallplatten GmbH):

»In den Mitt-Achtzigern gab es die Band Hamburger Arroganz, die so eine Art Wham-Rap auf Deutsch versuchten. Die hatten sogar eine Single mit Kurtis Blow.«

(Quelle, S. 20)

Als Antwort auf die Frage, wer zuerst auf Deutsch rappte, wäre womöglich auch diese Band zu nennen (ohne behaupten zu wollen, dass sie was mit HipHop zu tun hat, Kurtis-Blow-Feature hin oder her). Bis die ersten Aufnahmen von Advanced Chemistry, Cora E. und anderen erschienen, sollten jedenfalls noch Jahre vergehen.

Ende 2021 gab es offenbar eine Reunion von Hamburger Arroganz, inkl. der Veröffentlichung neuer Songs, bisher allerdings weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit. Meine Damen und Herren: Es gibt hier eine Band wiederzuentdecken!

Hamburg Graffiti History 1980—1999

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Eine Stadt wird bunt: Hamburg Graffiti History 1980-1999, die neue Sonderausstellung im Museum für Hamburgische Geschichte, erzählt von Graffiti in Hamburg als Zeitgeschichte der 1980er- und 1990er-Jahre.

Es geht um die (oft illegal praktizierte) Kunstform, aber ebenso sehr um die Räume, in denen sie stattfand, die Zeit, in der sie sich entwickelte und die Szenen und Subkulturen, die sie prägte.

Pointiert könnte man sagen: Man sieht gar nicht so viel Graffiti in dieser Graffiti-Ausstellung.

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Zu Besuch in der Superheldinnen-WG

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Comicfestival

Die Zeichnerin Marijpol hat sich für ihren Comic Hort die WG dreier Superheldinnen ausgedacht: Petra ist eine Bodybuilderin, Ulla eine Riesin und Denise experimentiert mit Körpermodifikationen (da, wo bei anderen Arme und Beine sind, ragen bei ihr lebende Schlangen aus Hosenbeinen und Ärmeln).

Allerdings sind es drei Superheldinnen, die nicht Verbrecher jagen, sondern versuchen, mit ihrem Alltag klarzukommen, eine ungleich schwierigere Aufgabe.

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Auf der Reeperbahn nachts um halb eins

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Meine Sorge, dass der Kiez bald dunkel bleiben würde, hat sich als unbegründet erwiesen.

Also klar: »Der Betrieb beleuchteter oder lichtemittierender Werbeanlagen ist von 22 Uhr bis 16 Uhr des Folgetages untersagt.« So steht es in der Verordnung der Bundesregierung zum Energiesparen (a.k.a. EnSikuMaV). Aber das heißt ja noch lange nicht, dass sich jetzt alle daran halten.

Im Falle der Großen Freiheit ist das vermutlich gut so und laut Verordnung auch zulässig, wenn es zur »Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit oder zur Abwehr anderer Gefahren erforderlich ist«.

Trotzdem Chapeau an Susis Show Bar für die vorbildliche Gesetzestreue.

Faktenwissen und Teilhabe

Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) verteidigt im Gespräch mit Moritz Baumann vom Newsletter Table.Bildung das Kerncurriculum, das Bestandteil seiner aktuell laufenden Reform der Bildungspläne ist:

Überall […] werden von jungen Erwachsenen Lese-, Rechtschreib- und Mathematikkenntnisse sowie Grundkenntnisse über unsere Welt erwartet. Da geht es um konkretes Faktenwissen, das aber bisher kaum in unseren Bildungsplänen berücksichtigt ist – mit dem hanebüchenen Argument, das sei Pädagogik von gestern. Das Ergebnis ist ein Skandal: Natürlich verfügen Kinder aus bildungsnahen Elternhäusern über dieses Faktenwissen. Aber wir haben in Hamburg 40 Prozent Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern, die dieses Privileg nicht haben. Es empört mich, dass privilegierte Milieus, die sich in der Bildungspolitik engagieren, das Faktenwissen in der Schule zurückdrängen wollen. Sie riskieren damit, dass Schüler aus bildungsfernen Familien nach der Schule weder ein Bewerbungsgespräch bestehen noch eine Nachrichtensendung verstehen.

Rabe argumentiert nicht im Sinne einer (christdemokratischen) »Leitkultur«, sondern sozialdemokratisch, mit Chancengleichheit und Teilhabe.

Ähnlich argumentierte in den USA etwa Eric Liu, der »kulturelle Alphabetisierung« und Teilhabe zusammendenkt (in der Tradition von E.D. Hirsch, dessen Überlegungen hierzulande bisher offenbar kaum eine Rolle spielten. Why?)

Das ganze Interview gibt es hier (Aboschranke).