Guerrilla Girls & feministisches Grafikdesign

Guerrilla Girls 1

Müssen Frauen nackt sein, um im Museum gezeigt zu werden? Das fragten die Guerrilla Girls, eine amerikanische Künstlerinnengruppe, Ende der Achtzigerjahre.

Die Frage war rein rhetorisch, denn die Guerrilla Girls hatten nachgezählt, auch das stand auf dem Poster: Im Metropolitan Museum in New York, einem der großen enzyklopädischen Kunstmuseen der USA, das von der Steinzeit bis in die Gegenwart alles sammelt, was man für kulturell bedeutsam hält, zeigten 85 Prozent aller Aktdarstellungen Frauenkörper, während weniger als fünf Prozent der modernen Künstler weiblich waren.

Also nein, Frauen mussten nicht nackt sein, um im Museum gezeigt zu werden. Doch es erhöhte ihre Chancen ganz wesentlich.

Zu sehen ist das Poster jetzt im Museum für Kunst & Gewerbe, in der neuen Sonderausstellung The F* Word: Guerrilla Girls und feministisches Grafikdesign. Der Anlass der Ausstellung ist der Ankauf des Gesamtwerks der Guerrilla Girls durch das Museum für Kunst & Gewerbe. Und da die Künstlerinnengruppe immer noch aktiv ist, hat sie auch dort mal nachzählen lassen und ein neues Poster gestaltet, das an der Fassade des Museums hängt.

Zu sehen ist darauf ein Franzbrötchen, das die 400.000 Arbeiten in der grafischen Sammlung repräsentiert. Daneben liegt ein kleiner Krümel, der für den Anteil der Werke von Frauen steht: 1,5 Prozent. Ein noch viel schlechteres Ergebnis als damals im Met.

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Mit Bismarck am Badestrand

Bismarck

Auf der Nordseeinsel Norderney pflegt man ein entspanntes Verhältnis zum Kaiserreich — und damit auch zur eigenen Geschichte.

Überall findet man hier Spuren der Vergangenheit als königliches Seebad: An einer Pension klärt ein überdimensioniertes Schild darüber auf, dass Bismarck einst in diesem Mauern nächtigte. Andernorts informiert eine Tafel vor der früheren Villa Fresena, dass man hier vor Fürst von Bülows Sommerresidenz stehe und damit vorm »sommerlichen Mittelpunkt der Reichspolitik«.

Die Hotels heißen »Germania« und »Haus Kaiser Franz Josef«, Straßen sind nach Kaiser, Kanzler oder Generalfeldmarschall benannt. Das alles bleibt unkommentiert. Seit der inhabergeführte Buchladen der Insel durch eine Thalia-Filiale ersetzt wurde, liegen auch keine Studien zum Bäderantisemitismus mehr in den Auslagen, sondern nur noch Ostfriesenkrimis und Romane über die »goldenen Zwanziger«.

Ein Störgeräusch in diesem nostalgischen Idyll geht ausgerechnet vom Kaiser-Wilhelm-Denkmal vor der St.-Ludgerus-Kirche aus (rechts im Foto). Ab 1898 wurde es errichtet und sollte die Reichseinigung symbolisch nachvollziehen, indem man dafür Steinblöcke aus 75 Städten und Provinzen auf die Insel karrte. Es sind Steine aus Aachen und aus der Kölner Stadtmauer dabei, aus Posen und aus Fehrbellin, lauter symbolträchtiges Geröll.

Wegen der unterschiedlichen Formen der Steine ist das Bauwerk aber krumm und schief, das macht seine geradezu visionäre Kraft aus: Da steht also ein Denkmal des deutschen Nationalismus und wäre so gern eine Siegessäule, doch es sieht bloß aus wie ein Haufen Bombenschutt.

(Das Meer und die Dünen und die Architektur und der eiskalte Wind sind natürlich trotzdem unschlagbar.)

Apropos! Während ich hier urlaube haben meine Kolleg*innen auf ZEIT ONLINE ein Interview veröffentlicht, dass ich neulich mit dem Kunsthistoriker Jörg Schilling führte. Wir sprachen über das Bismarck-Denkmal im Alten Elbpark in Hamburg, seine Geschichte, seine Bedeutung. Klicken Sie dafür hier.

Fünf neue Alben, je ein Song, je ein Satz

»Leider geil ist das nichts mehr.«

– über Neues vom Dauerzustand, das neue Album von Deichkind

»Man denkt an Trettmann, den großen Melancholiker der Bassmusik.«

– über Glas, das Debütalbum von Nina Chuba

»Sehr vintage klingt dieses wirklich schöne Album«

– über Der Assistent, das Debütalbum von Der Assistent

»Die Psychedelik der Sechziger, die Punk-Attitüde der späten Siebziger, die Endzeitstimmung und Experimentierfreude der Achtziger, all das brachte diese faszinierende, seit Jahren vergessene Band zusammen.«

– über Jahre 1981-2021 (+1), das Best-of-Album von Kastrierte Philosophen

»Ist diese Platte nicht ein Wunder?«

– über Hey Dostum, Çak!, das neue Album von Derya Yıldırım und Graham Mushnik

… minimal ausführlicher schreiben Christoph Twickel und ich über diese fünf neuen, allesamt hörenswerten Alben in den Hamburg-Seiten der ZEIT (ab heute am Kiosk).

Ein Jahr seit dem russischen Überfall

Russland

Ich kam heute am Generalkonsulat der Ukraine in Hamburg vorbei, Mundsburger Damm, Alsterufer. Es war ein kühler, sonniger Tag — genau wie bei einem früheren Besuch, fiel mir ein.

Damals hatte man hier den Asphalt der Straße kaum sehen können vor Menschen und Solidaritätsfahnen. Das war Anfang März 2022, ich habe noch einen Schnappschuss davon auf dem Handy gefunden. Links, das Haus mit der Fahne, ist das ukrainische Generalkonsulat.

Auf dem Rückweg fuhr ich heute am Feenteich vorbei, dort steht ein zweites Generalkonsulat, das russische. Ein stummer Protest auf der Straßenseite gegenüber: Jemand hat Luftballons in den Nationalfarben jenes Landes aufgehängt, in dem russische Raketen seit bald einem Jahr wieder und wieder in Wohnhäuser einschlagen und in dem russische Soldaten morden. Polizeiwagen parken hier, man könnte fast denken, auch sie trügen diese Farben.

Nur etwas mehr als ein Kilometer trennt die beiden Häuser, etwas weniger als ein Jahr die beiden Fotos. Es ist in der Zwischenzeit doch ziemlich still geworden in Hamburg.

Krimis sind auch nicht besser als Groschenromane

Krimis sind der neue Goldstandard der Literaturkritik. Das ist nicht mein Gedanke, das las ich neulich in einem Interview, meine ich (aber ich welchem? Es ist leider nicht mehr zu rekonstruieren). Darin klagte jemand, dass heute das höchste Lob eines Kritikers oder einer Kritikerin in der Formulierung läge: »Spannend wie ein Krimi!«

Wer »spannend wie ein Krimi« googlet, dem entfaltet sich das Feld, in dem diese Floskel Anwendung findet – und dieses Feld ist riesig. Es umfasst Literatur aller Art, Theater, Filme, Musik und mehr.

»Spannend wie ein Krimi«, das ist ein Gegenwartsroman, ein naturwissenschaftliches Sachbuch, eine historische Studie, Kammermusik von Brahms, eine Messe in e-Moll, eine Archivrecherche zum Mauerfall, eine Biografie des Ministerpräsidenten von Thüringen, eine Ausstellung im Haus der Geschichte Baden-Württemberg, ein Spielfilm über Gentrifizierung in Istanbul, Kindertheater in Pinneberg, […].

Ich zitiere und verlinke hier übrigens nur Texte von Menschen, die fürs Hinsehen, Urteilen, Formulieren und Schreiben bezahlt werden. Erweitert man die Quellenauswahl über die professionellen journalistischen Medien hinaus, findet man auch die Behauptung, Schönheitspflege, Kaltakquise und PowerPoint seien »spannend wie ein Krimi«. (Aber da wird die Behauptung langsam wirklich unseriös.)

Bleibt noch die Frage: Sind Krimis überhaupt spannend? Weiterlesen „Krimis sind auch nicht besser als Groschenromane“

False Friends: Was heißt »Weimar« auf Deutsch? Und was »Hindenburg«?

Im Fremdsprachen-Unterricht ist manchmal von false friends die Rede: Wörter, die ähnlich klingen, aber nicht dasselbe bedeuten. Das englische Wort warehouse klingt beispielsweise wie das deutsche »Warenhaus« (also »Kaufhaus«). Tatsächlich ist es mit »Lagerhalle« korrekt übersetzt. Das englische Wort für »Kaufhaus« ist department store.

Die false friends sind eine Falle, in die manchmal selbst professionelle Übersetzerinnen und Übersetzer tappen. Ich erinnere mich noch daran, wie ich vor rund zehn Jahren den Roman The Taqwacores des amerikanischen Autoren Michael Muhammad Knight in der deutschen Übersetzung las. Es geht in dem Roman um eine Gruppe muslimischer Punks, junge Menschen, die gläubig sind, aber nicht unbedingt regelkonform. Und, wow, wie rebellisch die waren! Da stand sogar, einer der Protagonisten esse gelegentlich Pizza mit Peperoni!

Äh, … und? Was ist das Problem? Ganz einfach: Es handelt sich um einen false friend. Das englische Wort peperoni pizza heißt auf Deutsch »Salami-Pizza« und Salami besteht aus Schweinefleisch, ist für Muslime also verboten. (Etwas ausführlicher habe ich über den Roman The Taqwacores in der Popzeitschrift Spex sowie hier geschrieben.)

Von einem false friend im weiteren Sinne – nämlich von historischen Begriffen, die auf unterschiedlichen Seiten des Atlantiks unterschiedliche Dinge bezeichnen – las ich neulich in einem Interview mit dem Kulturwissenschaftler Wolfgang Schivelbusch. In dem Buch Die andere Seite. Leben und forschen zwischen New York und Berlin spricht er über die Bedeutung des Begriffs »Weimar« im Deutschen und im Englischen.

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Tschüß, Fettes Brot!

Fettes Brot

Die drei Herren auf dem Bild links sind Fettes Brot, fotografiert von Alexandra Polina in der Bernstorffstraße.

Wer sich jetzt die Hamburch-Ausgabe der ZEIT holt, kriegt zusätzlich zum Foto noch das große Interview mit der Band darüber, warum sie jetzt nach dreißig Jahren aufhört. Und was danach kommt. Und wie lange es dann wohl noch bis zur Reunion dauert.

Das Interview, das meine Chefin Maria Rossbauer und ich führten, ist hier auch online zu lesen. Und meine Würdigung von Fettes Brot, geschrieben als uns im vergangenen Jahr die Nachricht ihrer Auflösung ereilte, steht hier (beides Texte für Leute mit ZEIT-Abo).

Die beiden Abschiedskonzerte von Fettes Brot am 1. und 2. September auf der Bahrenfelder Trabrennbahn sind leider längst ausverkauft.