In NYC werden BĂĽro- zu WohntĂĽrmen

Zwei Depeschen aus New York City, der Stadt, in der wir wohl alle gerne eine Wohnung hätten – aber ein Büro vielleicht gar nicht ganz sooo gern.

Erstens, der Neubau-Boom in Manhattan ist vorbei:

»Nearly 20 large office buildings that developers have proposed, including the final tower near ground zero, have yet to break ground. Many are on indefinite hold as developers face numerous challenges. […] As a result, Manhattan is entering its most significant office construction drought since after the savings and loan crisis in the late 1980s and early ’90s. Developers now concede that the next wave of large office towers may not open until the early 2030s, if not later.«

(Mehr dazu im Artikel von Matthew Haag in der New York Times, 28.12.2023.)

Zweitens, auch die bestehenden Gewerbeimmobilien sind nicht mehr ausgelastet, und das könnte für diese – wie für andere Städte – zu einem Problem werden:

»Among white-collar workers, the Covid-19 pandemic led to a profound shift: even when it became safe to return to the office, many employees preferred to work remotely. Nationwide, offices are only about fifty per cent full. Since 2019, according to a recent academic study, downtown street foot traffic has fallen by an average of twenty-six per cent in America’s fifty-two biggest cities. Urban theorists describe a phenomenon called the ›doom loop‹: once workers stop filling up downtown offices, the stores and restaurants that serve them close, which in turn makes the area even emptier.«

Deshalb passiert in Manhattan jetzt etwas, von dem ich während einer Recherche zur Umnutzung von Altbauten in Hamburg hörte, dass es so gut wie unmöglich sei: Bürotürme werden zu Wohngebäuden umgerüstet – offenbar geht das nämlich doch, es ist nur eine Frage des Geldes. Wohnraum wird nämlich weiterhin nachgefragt.

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Lob der Buchpreisbindung

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Die Bundesrepublik wird 75 Jahre alt und DIE ZEIT veröffentlicht zum Geburtstag eine Sonderausgabe.

Das Cover finde ich schon mal super. Hier wird eine Nation der Biertrinker, Bademeister und Oberlehrer gefeiert, aber immerhin nicht ohne Humor.

Für das Blatt haben Journalistinnen und Journalisten der ZEIT kurz aufgeschrieben, was ihnen an Deutschland gefällt (exakt 75 Dinge) und was sich ändern muss (auch 75 Dinge — ZUFALL??? 🤔).

Diese Texte wurden in verschiedenen Kapiteln zusammengefasst, darunter eines nur über »Genuss«, aber ich habe einen Text für das Kapitel »Ordnung« geschrieben, das ist doch deutlich deutscher.

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Linke Wanderer, rechte Wanderer

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Caspar David Friedrich ist gerade ĂĽberall, sogar auf Demoaufrufen zum 1. Mai.

Dieses Plakat ist von dem noch relativ neuen Bündnis »Wer hat, der gibt«, über das mein Kollege Tom Kroll neulich in seinem Artikel über die radikale Linke in Hamburg berichtet hat.

Ohne das als eine inhaltliche Aussage über das Büdnis verstanden wissen zu wollen, finde ich das Plakat der Gestalterin Chukky Fuck ziemlich super. Der Wanderer über dem Nebelmeer ist längst zur Meme geworden und dieses Plakat setzt das nicht nur fort, sondern verspottet es zugleich.

Bisher wurden billig gemachte Collagen des Wanderers nämlich oft dann bemüht, wenn es rechte Ängste und Sehnsüchte zu bebildern galt.

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Roy Lichtenstein, der menschliche Bildgenerator

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Hat man sich an Roy Lichtenstein nicht längst satt gesehen? Ich dachte: ja. Dann wurde ich im Albertina Museum in Wien eines Besseren belehrt. Dort läuft noch bis 14. Juli 2024 eine große Retrospektive anlässlich des 100. Jahrestag der Geburt des Künstlers.

Schon das erste Bild der Lichtenstein-Ausstellung ist so super gewählt: das Temple of Apollo Billboard Poster (1967). Es handelt sich um ein Werbeplakat, das Lichtenstein anlässlich seiner ersten Retrospektive in den USA entworfen hat. Äh, ist das nun Kunst oder Werbung?

Und damit ist man mittendrin in den Themen der Ausstellung: Welchen Platz hat Kunst in der Ă„ra der Massenproduktion von Bildern? Was ist originell, was Abklatsch?

Fragen, die Anfang der Sechzigerjahre aufkamen, aber uns heute immer noch (oder: wieder ganz neu) beschäftigen.

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»Plötzlich sind alle gefordert, ĂĽber Bilder anders nachzudenken«

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Das ist Nadine Isabelle Henrich, die neue Kuratorin im Haus der Photographie in den Deichtorhallen Hamburg.

»Der Begriff der Fotografie ist flüssig geworden«, sagte sie, als wir in der vergangenen Woche in ihrem Büro zusammensaßen. »Wir können heute gar nicht mehr genau bestimmen, wo Fotografie anfängt und wo sie endet.« Zum Beispiel: Was ist schon Fotografie, was ist noch quasi verbale Alltagskommunikation (Selfies, Memes, Sticker)? Was ist noch Fotografie, was ist schon Bewegtbild? Und was bedeutet es für die Fotografie, wenn sie sich durch KI-Bildgeneratoren, wie Nadine Isabelle Henrich sagt, »ins Spekulative öffnet«?

Darüber haben wir gesprochen. Außerdem über ein aus meiner Sicht ziemlich faszinierendes autobiografisches Projekt von Sabine von Bassewitz. Und darüber, dass Henrich das Haus der Photographie zu einem Bildungszentrum für »visual literacy« ausbauen will. Ich bin jetzt auch sehr gespannt auf Henrichs erste Ausstellung im September, in der sie Arbeiten von Andrea Orejarena und Caleb Stein zeigt. Das könnte gut werden.

Das Interview ist auf ZEIT ONLINE erschienen, man kann es kostenlos lesen mit diesem Link. Das Porträtfoto von Nadine Isabelle Henrich hat Philipp Meuser aufgenommen. 👋

Richard Serra, vergleichsweise subtil

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Am 26. März 2024 ist der amerikanische Bildhauer Richard Serra gestorben, der für seine Skulpturen aus Stahlplatten bekannt wurde. In den Nachrufen, die jetzt zu lesen sind, wird er als Mann fürs Grobe beschrieben und als einer, dessen Arbeiten regelmäßig alle Maßstäbe sprengten.

Damit stand Serra in einer amerikanischen Tradition: Schon die riesigen Leinwände des Abstract Expressionism waren für viele Galerien eine Herausforderung, zum Beispiel Jackson Pollocks Autumn Rhythm (Number 30), 1950, mit 2,67 × 5,26 Metern.

Richard Serras Skulpturen waren noch gewaltiger und passten oft gar nicht mehr in die Museen hinein. Man ließ sie also vor der Tür stehen, auf öffentlichen Plätzen, so wie T.W.U. vor den Deichtorhallen in Hamburg (1980, drei verkantete Stahlbleche, jeweils an die zehn Meter hoch, Foto hier).

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Es gibt keine Utopien fĂĽr das 21. Jahrhundert

In der heutigen Ausgabe der ZEIT (Hamburg-Seiten) zitiere ich Erck Rickmers, den Unternehmer und Gründer des New Institute, mit den Worten: »Die Menschheit taumelt einer Zukunft entgegen, für die es kaum utopische Szenarien geben kann.«

Das ist ein Satz, dessen Wucht und Tragik man wohl leicht unterschätzt.

Denselben Gedanken lese ich jetzt — etwas weiter ausgeführt — in einem Essay des Literaturwissenschaftlers Nathan Brown.

Browns Denken bewegt sich in den Bahnen marxistischer Theorie, also einer der utopischen Denkrichtungen schlechthin, doch er hat wenig Hoffnung, dass diese auf das 21. Jahrhundert noch anwendbar ist.

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Frauen, Männer & Malerei

Szene aus ›Scarlet Street‹ (1945)
Abb. 1: Chris, ein Amateur im wahrsten Sinne – er liebt, was er tut

Ab und zu tauchen aus dem unĂĽberschaubaren Wirrwarr des Vergangenen einzelne Geschichten auf, die erstaunlich viel mit unserer Gegenwart zu tun zu haben scheinen.

So ging es mir zuletzt, als ich am Wochenende eher zufällig Scarlet Street schaute (deutscher Titel: Straße der Versuchung). Das ist einer der Filme, die der Regisseur Fritz Lang nach seiner Flucht vor den Nazis in Hollywood drehte, im Jahr 1945.

Scarlet Street erzählt von Chris (gespielt von Edward G. Robinson), einem Buchhalter in New York, der sich sonntags in seinem Badezimmer als Maler versucht. Chris ist ein unauffälliger Mann, der sich damit abgefunden zu haben scheint, dass sich seine Sehnsüchte nicht mehr erfüllen werden.

Er lebt in einer unglücklichen Ehe, sorgt als braver Angestellter für den Wohlstand seines Chefs und malt Bilder, die kein Mensch sehen will. Nämlich (ohne dass das ausgeführt wird) naiverweise gegenständliche Motive, obwohl man sich in New York doch längst einig war, dass die Abstraktion gesiegt hatte.

Doch dann wird Chris eines Nachts Zeuge, wie eine junge Frau auf offener Straße ausgeraubt wird. Er greift ein, schlägt den Täter in die Flucht, nimmt sich ein Herz und lädt die Frau, Kitty (gespielt von Joan Bennett), in eine Bar ein.

Das wird den beiden zum Verhängnis.

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Eine Eiswaffel voll Zukunft

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Viele Metaphern sind politisch belastet. Das lehrt der Linguist George Lakoff, dessen Thesen hierzulande durch Elisabeth Wehling unter dem Stichwort des »politischen Framings« popularisiert wurden.

Wer zum Beispiel von »Steuererleichterungen« spricht, nimmt dadurch eine Wertung vor. Man könnte Steuern auch als solidarische Geste, als Investition ins Gemeinwohl oder als Rückzahlung eines staatlichen Kredits begreifen. Wer sie jedoch als Last und Belastung »framet«, kann eigentlich nur noch FDP-Politik machen. Oder verlieren.

Der Designer Frieder Bohaumilitzky (studio lose) beschäftigte sich in seiner Ausstellung Fußnoten zur Zukunft in der Frappant Galerie mit einer visuellen Metapher, die ihm in seiner Forschung zur Designtheorie wiederholt begegnet ist, erzählte er mir, nämlich der »Futures Cone« (wie übersetzt man das: »Eiswaffel der Zukünfte«? Naja).

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