Fehlschlüsse in der Debatte um die Benin-Raubkunst

Eigentlich ist es eine recht schlichte Übung in logischem Denken.

Erstens: Deutschland gibt Kunstwerke, die britische Kolonialsoldaten Ende des 19. Jahrhunderts aus dem Königspalast von Benin raubten und in verschiedene Länder weiterverkauften, mehr als hundert Jahre nach diesem Raub nach Nigeria zurück. Die Rückgabe erfolgt bedingungslos.

Zweitens: Der dortige Staatspräsident hat entschieden, das Eigentum an dieser Raubkunst den Erben der Königsfamilie zu übertragen.

Ist Punkt zwei bedauerlich? Ja, schreibt der FAZ-Redakteur Andreas Kilb sinngemäß und formuliert in der heutigen Ausgabe seiner Zeitung:

»Der entscheidende Unterschied zwischen einem Pa­last und einem Museum liegt in der Zugänglichkeit. Ein Museum ist öf­fent­lich, ein Palast privat. In ein Museum gelangt man mit einer Eintrittskarte, in einen Palast mit einer Einladung. Museen sind Orte der Inklusion, Paläste solche der Exklusion. Wer die Benin-Bronzen in Zukunft an ihrem Entstehungsort in Nigeria sehen will, wird diesen Unterschied zu spüren be­kom­men.«

Aber bedeutet das, dass irgendwas mit Punkt eins nicht stimmt? Nope. Weiterlesen „Fehlschlüsse in der Debatte um die Benin-Raubkunst“

Dieser Mann sucht ein neues Elementarteilchen

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Der Physiker Axel Lindner will in einem alten Tunnel unter dem Altonaer Volkspark das bisher Unmögliche schaffen — und Dunkle Materie sichtbar machen.

Sein Experiment ALPS II ist im Tunnel des Teilchenbeschleunigers Hera aufgebaut, der vor anderthalb Jahrzehnten stillgelegt wurde, 25 Meter tief unter dem Park.

Es handelt sich um einen komplizierten Apparat aus einem Hochleistungslaser, Spiegeln, sehr starken Magneten und Detektoren. Im besten Fall könnte es damit gelingen, die Existenz von Axionen nachzuweisen, das sind sehr kleine und leichte Elementarteilchen.

Theoretiker gehen davon aus, dass Axionen mit ihren Kraftfeldern die Anordnung der Quarks beeinflussen. Sie wissen schon: je drei Quarks bilden ein Proton oder Neutron, diese wiederum bilden Atomkerne, diese stecken in Atomen, diese sind Bausteine aller Materie.

Außerdem, glaubt Lindner, könnte auch die Dunkle Materie im Universum (von der man weiß, dass sie existieren muss, weil man die Wirkung ihrer Kraftfelder beobachten kann) aus Axionen besteht.

Bisher weiß aber niemand, ob Axionen existieren, sie sind lediglich eine Idee.

Mein Artikel über Axel Lindner, der beim Forschungszentrum Desy das Experiment ALPS II leitet, ist ab heute in den Hamburgseiten der ZEIT zu lesen. Dort ist Lindner, dessen Messungen im Mai starten werden unser »Mensch des Monats«.

Das Porträt Lindners auf der Zeitungsseite hat Jewgeni Roppel aufgenommen.

Was Xatar über Bildung denkt

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Neulich haben Martina Kix und ich den Rapper Xatar interviewt, den auch viele Menschen kennen, die mit Rap weniger zu tun haben: Der Regisseur Fatih Akin hat mit Rheingold gerade einen Spielfilm über ihn gedreht.

Wir sprachen mit Giwar Hajabi, wie Xatar bürgerlich heißt, über seine Bildungsbiografie. Also über seine Eltern, die aus dem Teheraner Kulturbürgertum stammen (bis die Islamische Revolution das zerstört hat) und über die Flucht der Familie nach Bonn, wo Hajabi aufwuchs.

Außerdem über sein Scheitern in der Schule (»Wie groß war die Enttäuschung bei Ihren Eltern, dass Sie kein Abitur gemacht haben?« — »Es war eine Katastrophe«) und über die Bücher, die er im Gefängnis gelesen hat. Das war später, als er wegen des Überfalls auf einen Geldtransporter zu acht Jahren Haft verurteilt worden war, das letzte von etlichen Drogen- und Gewaltdelikten.

Es geht also um alles außer Rap. OK, stimmt nicht: Dr. Dre spielt eine Rolle und es gibt Shout-Outs an Samy, SSIO und Schwesta Ewa, die Hajabi auf seinem Label unter Vertrag hat.

Inzwischen ist Xatar nämlich Unternehmer. Und falls doch noch mal ein SEK bei ihm zu Hause vorbeischaut, nimmt man das in seiner neuen Nachbarschaft gelassen: »Wissen Sie, es gibt die Reihenhaus-Reichen und die Anwesen-Reichen. Die Anwesen-Reichen sind entspannt. Die haben alle Geld ohne Ende und selbst Dreck am Stecken.«

Lesen kann man das in der neuen Ausgabe der ZEIT oder hier online (für Abonnent*innen).

Wer darf welche Geschichte erzählen?

Nefeli Kavouras und Anselm Neft sprechen in der neuen Folge ihres Literaturkritik-Podcasts laxbrunch über Marlen Hobracks Schrödingers Grrrl, das kürzlich im Verbrecher Verlag in Berlin erschienen ist.

Hobracks Roman erzählt von einer jungen, antriebslosen Frau aus Dresden, die von einem Berliner Literaturagenten ausgewählt wird, den Roman eines älteren, westdeutschen Schriftstellers über eine junge, ostdeutsche Hartz-IV-Empfängerin als dessen vermeintliche Autorin zu vertreten und den Inhalt und Stil des Romans auf diese Weise zu beglaubigen.

Wer darf welche Geschichte erzählen? Das ist ja eine der in den vergangenen Jahren immer wieder gestellten Fragen in Literatur und Kunst. Hier nun also verhandelt in Form eines Hochstapler- / Schelmenromans

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Guerrilla Girls & feministisches Grafikdesign

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Müssen Frauen nackt sein, um im Museum gezeigt zu werden? Das fragten die Guerrilla Girls, eine amerikanische Künstlerinnengruppe, Ende der Achtzigerjahre.

Die Frage war rein rhetorisch, denn die Guerrilla Girls hatten nachgezählt, auch das stand auf dem Poster: Im Metropolitan Museum in New York, einem der großen enzyklopädischen Kunstmuseen der USA, das von der Steinzeit bis in die Gegenwart alles sammelt, was man für kulturell bedeutsam hält, zeigten 85 Prozent aller Aktdarstellungen Frauenkörper, während weniger als fünf Prozent der modernen Künstler weiblich waren.

Also nein, Frauen mussten nicht nackt sein, um im Museum gezeigt zu werden. Doch es erhöhte ihre Chancen ganz wesentlich.

Zu sehen ist das Poster jetzt im Museum für Kunst & Gewerbe, in der neuen Sonderausstellung The F* Word: Guerrilla Girls und feministisches Grafikdesign. Der Anlass der Ausstellung ist der Ankauf des Gesamtwerks der Guerrilla Girls durch das Museum für Kunst & Gewerbe. Und da die Künstlerinnengruppe immer noch aktiv ist, hat sie auch dort mal nachzählen lassen und ein neues Poster gestaltet, das an der Fassade des Museums hängt.

Zu sehen ist darauf ein Franzbrötchen, das die 400.000 Arbeiten in der grafischen Sammlung repräsentiert. Daneben liegt ein kleiner Krümel, der für den Anteil der Werke von Frauen steht: 1,5 Prozent. Ein noch viel schlechteres Ergebnis als damals im Met.

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Mit Bismarck am Badestrand

Bismarck

Auf der Nordseeinsel Norderney pflegt man ein entspanntes Verhältnis zum Kaiserreich — und damit auch zur eigenen Geschichte.

Überall findet man hier Spuren der Vergangenheit als königliches Seebad: An einer Pension klärt ein überdimensioniertes Schild darüber auf, dass Bismarck einst in diesem Mauern nächtigte. Andernorts informiert eine Tafel vor der früheren Villa Fresena, dass man hier vor Fürst von Bülows Sommerresidenz stehe und damit vorm »sommerlichen Mittelpunkt der Reichspolitik«.

Die Hotels heißen »Germania« und »Haus Kaiser Franz Josef«, Straßen sind nach Kaiser, Kanzler oder Generalfeldmarschall benannt. Das alles bleibt unkommentiert. Seit der inhabergeführte Buchladen der Insel durch eine Thalia-Filiale ersetzt wurde, liegen auch keine Studien zum Bäderantisemitismus mehr in den Auslagen, sondern nur noch Ostfriesenkrimis und Romane über die »goldenen Zwanziger«.

Ein Störgeräusch in diesem nostalgischen Idyll geht ausgerechnet vom Kaiser-Wilhelm-Denkmal vor der St.-Ludgerus-Kirche aus (rechts im Foto). Ab 1898 wurde es errichtet und sollte die Reichseinigung symbolisch nachvollziehen, indem man dafür Steinblöcke aus 75 Städten und Provinzen auf die Insel karrte. Es sind Steine aus Aachen und aus der Kölner Stadtmauer dabei, aus Posen und aus Fehrbellin, lauter symbolträchtiges Geröll.

Wegen der unterschiedlichen Formen der Steine ist das Bauwerk aber krumm und schief, das macht seine geradezu visionäre Kraft aus: Da steht also ein Denkmal des deutschen Nationalismus und wäre so gern eine Siegessäule, doch es sieht bloß aus wie ein Haufen Bombenschutt.

(Das Meer und die Dünen und die Architektur und der eiskalte Wind sind natürlich trotzdem unschlagbar.)

Apropos! Während ich hier urlaube haben meine Kolleg*innen auf ZEIT ONLINE ein Interview veröffentlicht, dass ich neulich mit dem Kunsthistoriker Jörg Schilling führte. Wir sprachen über das Bismarck-Denkmal im Alten Elbpark in Hamburg, seine Geschichte, seine Bedeutung. Klicken Sie dafür hier.

Fünf neue Alben, je ein Song, je ein Satz

»Leider geil ist das nichts mehr.«

– über Neues vom Dauerzustand, das neue Album von Deichkind

»Man denkt an Trettmann, den großen Melancholiker der Bassmusik.«

– über Glas, das Debütalbum von Nina Chuba

»Sehr vintage klingt dieses wirklich schöne Album«

– über Der Assistent, das Debütalbum von Der Assistent

»Die Psychedelik der Sechziger, die Punk-Attitüde der späten Siebziger, die Endzeitstimmung und Experimentierfreude der Achtziger, all das brachte diese faszinierende, seit Jahren vergessene Band zusammen.«

– über Jahre 1981-2021 (+1), das Best-of-Album von Kastrierte Philosophen

»Ist diese Platte nicht ein Wunder?«

– über Hey Dostum, Çak!, das neue Album von Derya Yıldırım und Graham Mushnik

… minimal ausführlicher schreiben Christoph Twickel und ich über diese fünf neuen, allesamt hörenswerten Alben in den Hamburg-Seiten der ZEIT (ab heute am Kiosk).