Guerrilla Girls & feministisches Grafikdesign

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Müssen Frauen nackt sein, um im Museum gezeigt zu werden? Das fragten die Guerrilla Girls, eine amerikanische Künstlerinnengruppe, Ende der Achtzigerjahre.

Die Frage war rein rhetorisch, denn die Guerrilla Girls hatten nachgezählt, auch das stand auf dem Poster: Im Metropolitan Museum in New York, einem der großen enzyklopädischen Kunstmuseen der USA, das von der Steinzeit bis in die Gegenwart alles sammelt, was man für kulturell bedeutsam hält, zeigten 85 Prozent aller Aktdarstellungen Frauenkörper, während weniger als fünf Prozent der modernen Künstler weiblich waren.

Also nein, Frauen mussten nicht nackt sein, um im Museum gezeigt zu werden. Doch es erhöhte ihre Chancen ganz wesentlich.

Zu sehen ist das Poster jetzt im Museum für Kunst & Gewerbe, in der neuen Sonderausstellung The F* Word: Guerrilla Girls und feministisches Grafikdesign. Der Anlass der Ausstellung ist der Ankauf des Gesamtwerks der Guerrilla Girls durch das Museum für Kunst & Gewerbe. Und da die Künstlerinnengruppe immer noch aktiv ist, hat sie auch dort mal nachzählen lassen und ein neues Poster gestaltet, das an der Fassade des Museums hängt.

Zu sehen ist darauf ein Franzbrötchen, das die 400.000 Arbeiten in der grafischen Sammlung repräsentiert. Daneben liegt ein kleiner Krümel, der für den Anteil der Werke von Frauen steht: 1,5 Prozent. Ein noch viel schlechteres Ergebnis als damals im Met.

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Michel Majerus, 20 Jahre später

Michel Majerus – Data Streaming (Kunstverein Hamburg)
Abb.: Ausstellungsansicht von »Data Streaming« im Kunstverein

Im Jahr 2005, nach dem frühen Tod des Malers Michel Majerus (1967–2002), wurden seine Arbeiten in den Deichtorhallen gezeigt. Ich erinnere mich noch, wie genervt ich damals war: Da malt einer popkulturelle Referenzen in seine Bilder und die Leute feiern ihn, als wäre das etwas Neues. Buhuhu!

Die Zeitschrift The Face, deren Cover Majerus abmalte, war bereits eingestellt worden und der Disneyfilm Tron, dem er eine Werkreihe widmete, bloß eine ferne Jugenderinnerung. Trotzdem erschienen mir die Motive gegenwärtig, vertraut, banal – was mehr über meine Ignoranz aussagt, als über die Arbeiten.

Gut, dass ich mit der Ausstellung Data Streaming, die gerade im Kunstverein läuft, eine zweite Chance bekommen habe, Majerus‘ Bilder zu sehen.

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Der kommende Aufstand

Die beste Ausstellung, die ich 2022 gesehen habe – oder zumindest diejenige, die mich am längsten beschäftigt hat –, war Amazons of Pop in der Kunsthalle Kiel. Gezeigt wurde dort, wie Frauenbilder der Popkultur in den 1960er- und 1970er-Jahren Künstlerinnen inspirierten, soft-pornografische Männerfantasien feministisch umzudeuten. Ich habe hier darüber geschrieben.

Aktuell und noch bis 19. März 2023 läuft nun im Kunstmuseum Basel eine weitere Ausstellung feministischer Kunst, Fun Feminism. Dort wird unter anderem diese Videoarbeit von Martha Rosler gezeigt:

Philipp Hindahl schreibt in seiner Rezension der Ausstellung in der heutigen Ausgabe des Tagesspiegels (hier online lesbar):

»Martha Roslers Video ›Semiotics of the Kitchen‹ von 1975 ist ein Klassiker – und ein guter Anknüpfungspunkt für eine Geschichte feministischer Kunst. In dem Schwarz-Weiß-Video widmet sich Rosler Dingen in ihrer Küche und handhabt sie so, als wollte sie daraus Waffen gegen das Patriarchat machen.«

Ich muss bei Semiotics of the Kitchen an die Kritik Betty Friedans denken, die 1963 in ihrem Buch The Feminine Mystique von der Vereinsamung, Gefangenschaft und sogar Entmenschlichung der Frauen in den Küchen der amerikanischen Vorstädten schrieb.

Ob das Video wirklich unter die Überschrift »fun« passt? So mancher Ehemann wird es seiner Zeit vermutlich mit Beklemmungen gesehen haben und mit Sorge vor einem kommenden Aufstand …

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Kann Kunst heilen?

»Kunst auf Rezept: Wie sinnliche Erlebnisse heilen können«, ist die Überschrift eines Artikel von Susanne Donner, der heute im Tagesspiegel erschienen ist (online hier, hinter der Abo-Schranke).

Donner berichtet über Forschungsprojekte, die Kunst und Musik in therapeutischen Kontexten einsetzen, etwa »Kunst auf Rezept« in Schweden, das von der Psychologin Anita Jensen von der Uni Aalborg betreut werde. Menschen mit einer psychischen Erkrankung gehen dabei zehn Wochen lang zweimal pro Woche in Kultureinrichtungen.

»Die meisten waren vorher nie in einem Museum oder einer Oper«, sagt Jensen. Und sie staunen über die Stimmungsaufhellung und das wachsende Selbstwertgefühl, wie sie unter anderem in einer Veröffentlichung in »Perspectives in Public Health« darlegte. Auch die betreuenden Ärzte würden bemerken, dass es ihren Kranken besser geht.

Diese Schilderung ist faszinierend – immerhin wird viel darüber geredet, wie man Schwellenängste abbauen und Menschen in Museen und Theater locken kann. Da gibt es Tage mit kostenlosem Eintritt und dergleichen mehr, das wirksam sein mag oder auch nicht. Aber Donner schildert hier einen Ansatz, der ja – wenn sie mit ihren Ausführungen recht hat – nicht nur den Patient*innen nützt, sondern auch den Museen und Opern, der nicht nur Leiden zu mindern scheint, sondern auch einen wirksamen »Outreach« der beteiligten Kulturinstitutionen darstellt. Toll!

Unklar ist aber, ob es wirklich die Kunst und die »sinnlichen Erlebnisse« sind, denen hier heilende Fähigkeiten zugesprochen werden können. Immerhin wird die Psychologin Jensen auch mit den Worten zitiert: »Vielen Menschen tut schon der Austausch mit anderen […] sehr gut.«

Ich wüsste gerne mehr! Ist primär der Kontakt zu anderen Menschen heilsam und die Kunst bloß der Anlass dafür? Dann braucht es die Kunst nicht, dann könnten die Patienten statt ins Museum und in die Oper aber auch in den Zoo oder ins Stadion gehen.

Oder senkt ein Museumsbesuch den Stress, weil es ein Ort der Kontemplation, der Ruhe und konzentrierten Aufmerksamkeit ist? Dann aber wäre wohl auch ein Aufenthalt im Kloster hilfreich, zumal verglichen mit dem Trubel, der in einem beliebten Museum während der Stoßzeiten herrscht.

Sollte es tatsächlich der Kontakt mit den Kunstwerken sein, die zur Heilung beiträgt, gibt es dann Erkenntnisse dazu, ob es einen Unterschied der Wirksamkeit von Originalen und Reproduktionen gibt? Denn: Kunstdrucke ins Krankenhaus zu hängen, die da lustlos gerahmt langsam im Sonnenlicht ausbleichen, wird ja kaum der Therapie zuträglich sein … ?

Ein kalter Tag im Zoo

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Neulich war ich im Zoo mit Jens Nommel. Es war nass und kalt und außer uns war fast niemand zu sehen. In anderen Worten, es war perfekt.

Denn Nommel, der sich auf meinem ersten Schnappschuss so Caspar-David-Friedrich’esque in die Landschaft lehnt, ist Fotograf und dokumentiert unter dem Titel »May Be an Image of Nature« die Architektur von Zoogehegen. Ganz ohne Menschen, ganz ohne Tiere.

(Wie fotografiert man einen Zoo ohne Tiere? Bei unserem Spaziergang zeigte sich, dass es leichter ist, als ich dachte. Die Tiere stehen ohnehin immer nur am Bildrand rum. »In the zoo the view is always wrong«, schrieb schon der große Kritiker John Berger: »One is so accustomed to this that one scarcely notices it any more«.)

Nommel sammelt auf diese Weise Bilder von rätselhaften Landschaften. Landschaften, die um Realismus bemüht und doch erkennbar fake sind, teilweise erinnern mich die Fotos an Screenshots aus Videospielen. Zugleich ist das, was Nommel macht, handwerklich sehr strenge, ja unoriginelle Dokumentarfotografie.

Sie merken, ich bin ein Fan, und als solcher freue ich mich, dass mein kleiner Text über Nommels Fotoprojekt jetzt zusammen mit einigen seiner Aufnahmen auf Panorama.pm erschienen ist, einer tollen Website für Landschaftsfotografie.

P.S.: Eine Ausstellung im Jenaer Kunstverein folgt im November 2023.

Werner Büttner im Musicaltheater

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Alles am Disney-Musical Die Eiskönigin ist darauf angelegt, das Publikum zu überwältigen: die Kostüme, die Musik, die Kulisse (die kaum zur Ruhe kommt, weil sich das Bühnenbild ständig verwandelt) und natürlich auch die Magie.

Doch als ich mir das Stück neulich ansah (in der Nachmittagsvorführung am Wochenende, allein unter achtjährigen Mädchen in eisblauen Prinzessinenkleidern und ihren Familien), hatte ich den krassesten »Wow!«-Moment in der Pause.

Da schlenderte ich ziellos im Theater an der Elbe umher, schaute mal ins Foyer im Obergeschoss und … »warte mal, spinn‘ ich?« Da hing tatsächlich ein großformatiges Original des Malers Werner Büttner!

Etwas versteckt zwar, aber unverkennbar. Dieses Motiv habe ich neulich noch in seiner Retrospektive in der Hamburger Kunsthalle gesehen, über die ich hier geschrieben habe. Titel des Gemäldes: »Die Avantgarde von hinten«.

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Zu Besuch in der Superheldinnen-WG

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Comicfestival

Die Zeichnerin Marijpol hat sich für ihren Comic Hort die WG dreier Superheldinnen ausgedacht: Petra ist eine Bodybuilderin, Ulla eine Riesin und Denise experimentiert mit Körpermodifikationen (da, wo bei anderen Arme und Beine sind, ragen bei ihr lebende Schlangen aus Hosenbeinen und Ärmeln).

Allerdings sind es drei Superheldinnen, die nicht Verbrecher jagen, sondern versuchen, mit ihrem Alltag klarzukommen, eine ungleich schwierigere Aufgabe.

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Berlin? Nein, wie provinziell! (sagt Chris Dercon)

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Der Kurator und Kulturmanager Chris Dercon war nach Führungsjobs am MoMA PS1 in New York, dem Haus der Kunst in München und der Tate Modern in London von 2017 bis 2018 Intendant der Berliner Volksbühne.

Er wurde dort nicht sehr herzlich empfangen und hat sich in Berlin nicht nur Freunde gemacht. Eine beispielhafte, bittere Bilanz zog Susanne Burkhardt für den Deutschlandfunk.

Dennoch blicke er »ohne Rachegedanken zurück auf Berlin« (interessante Formulierung: »Rachegedanken«? Muss man fürchten, dass geschasste Intendanten irgendwann zurückkommen um die Stadt abzubrennen?).

Also – sagt er zumindest im Interview mit dem Monsieur Magazin. Und dann sagt er noch ein paar Sachen über Berlin.

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F&D Cartier: »The Never Taken Images«

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Wait and See. The Never Taken Images ist der Name einer Arbeit des Künstlerpaars F&D Cartier, die gerade im Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg zu sehen ist. 1998 begannen die beiden, alte Fotopapiere zu sammeln — ahnend, dass es sich dabei um Restbestände einer aussterbenden Kunst handelt — und diese als Wandcollagen auszustellen.

Inzwischen haben F&D Cartier tausend Fotopapiere angehäuft, sagen sie, von Herstellern aus 13 verschiedenen Ländern, das älteste davon stamme noch aus dem 19. Jahrhundert.

Die Papiere sind abgelaufen, für Fotoabzüge also nicht mehr zu gebrauchen. Wenn aber Licht auf sie fällt, beginnen die Chemikalien noch zu arbeiten. Je nach Geheimrezeptur der Hersteller nehmen die Papiere dann eine andere Farbe an. Es handelt sich ausschließlich um Papiere für Schwarzweißfotografie, doch im Museum für Kunst & Gewerbe leuchteten sie am vergangenen Donnerstag in Apricot, Violetttönen, Himmelgrau und metallischem Minzgrün.

Als F&D Cartier die Arbeit am Vortag aufhängten, waren die Papiere noch weiß, erzählen sie, das farbige Muster an der Wand ist also zumindest zum Teil ein Zufallsprodukt. Die Formate werden nicht beschnitten, betont das Künstlerpaar, die Papiere nicht bearbeitet. »Wir machen nichts weiter, als sie aus der Verpackung zu nehmen«, sagt Daniel Cartier.

Während der Dauer der Hängung — zu sehen ist die Arbeit noch bis 30. Oktober in der Ausstellung Mining Photography. Der ökologische Fußabdruck der Bildproduktion — dunkeln die Papiere weiter nach, würden aber nie ganz schwarz werden, sagt Françoise Cartier.

Eine erstaunliche Entdeckung. Ich erinnere mich an zwei oder drei Abende in der Dunkelkammer der Volkshochschule (und vor allem an die hässlichen gelben Flecken, die die Entwicklerlösung in meinen Klamotten hinterließ), aber die poetische Qualität der Fotopapiere war mir nicht bekannt.

Gegen Blümchensex

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Viel Aufhebens wird gerade um die Idee gemacht, man könne – nein, müsse! – Tiere, Pflanzen und andere Teile der Natur zu ihrem Recht kommen lassen. Zum Beispiel, indem man ihnen einklagbare Rechte zuspricht oder ihnen parlamentarische Vertretung verschafft.

Diese Ideen sind faszinierend, weil sie das Unwahrscheinliche vorschlagen und so völlig spekulativ sind. Vielleicht ist es deshalb kein Zufall, dass sie eher in den Sphären des Theaters, der Kunst und Kultur zirkulieren, als in jenen des Rechts und der praktischen Politik (das ist zumindest mein Eindruck).

»Solidarität ist die Zärtlichkeit der Spezies«, ist etwa in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift für Architektur und Urbanistik, Arch+, zu lesen (Nr. 247, »Cohabitation«). Damit ist dem Projekt sein zu erwartendes Scheitern schon eingeschrieben, denn der Spruch, der hier zititiert wird – Ché Guevaras »Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker« – endete für seinen Urheber nicht gut.

Die Idee der »Cohabitation«, also das gleichberechtigte Zusammenleben von Mensch und Tier, ist vermutlich auch nur so lange reizvoll, wie man keine Ratten in der Wohnung hat. Oder wenigstens Silberfische. Spätestens dann wird die Zärtlichkeit enden und die menschlichen Interessen werden sich handfest durchsetzen.

Teilweise verbirgt sich hinter der behaupteten Achtung tierischer oder pflanzlicher Bedürfnisse auch nur eine neue Übergriffigkeit des Menschen. Beispielhaft nachzulesen ist das in der Sonderausgabe »Kunst und Natur« (Nr. 2/2022) der Zeitschrift Weltkunst.

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