»Plötzlich sind alle gefordert, ĂĽber Bilder anders nachzudenken«

Nadine_Hinrichs-4

Das ist Nadine Isabelle Henrich, die neue Kuratorin im Haus der Photographie in den Deichtorhallen Hamburg.

»Der Begriff der Fotografie ist flüssig geworden«, sagte sie, als wir in der vergangenen Woche in ihrem Büro zusammensaßen. »Wir können heute gar nicht mehr genau bestimmen, wo Fotografie anfängt und wo sie endet.« Zum Beispiel: Was ist schon Fotografie, was ist noch quasi verbale Alltagskommunikation (Selfies, Memes, Sticker)? Was ist noch Fotografie, was ist schon Bewegtbild? Und was bedeutet es für die Fotografie, wenn sie sich durch KI-Bildgeneratoren, wie Nadine Isabelle Henrich sagt, »ins Spekulative öffnet«?

Darüber haben wir gesprochen. Außerdem über ein aus meiner Sicht ziemlich faszinierendes autobiografisches Projekt von Sabine von Bassewitz. Und darüber, dass Henrich das Haus der Photographie zu einem Bildungszentrum für »visual literacy« ausbauen will. Ich bin jetzt auch sehr gespannt auf Henrichs erste Ausstellung im September, in der sie Arbeiten von Andrea Orejarena und Caleb Stein zeigt. Das könnte gut werden.

Das Interview ist auf ZEIT ONLINE erschienen, man kann es kostenlos lesen mit diesem Link. Das Porträtfoto von Nadine Isabelle Henrich hat Philipp Meuser aufgenommen. 👋

Richard Serra, vergleichsweise subtil

20240301 - Richard Serra

Am 26. März 2024 ist der amerikanische Bildhauer Richard Serra gestorben, der für seine Skulpturen aus Stahlplatten bekannt wurde. In den Nachrufen, die jetzt zu lesen sind, wird er als Mann fürs Grobe beschrieben und als einer, dessen Arbeiten regelmäßig alle Maßstäbe sprengten.

Damit stand Serra in einer amerikanischen Tradition: Schon die riesigen Leinwände des Abstract Expressionism waren für viele Galerien eine Herausforderung, zum Beispiel Jackson Pollocks Autumn Rhythm (Number 30), 1950, mit 2,67 × 5,26 Metern.

Richard Serras Skulpturen waren noch gewaltiger und passten oft gar nicht mehr in die Museen hinein. Man ließ sie also vor der Tür stehen, auf öffentlichen Plätzen, so wie T.W.U. vor den Deichtorhallen in Hamburg (1980, drei verkantete Stahlbleche, jeweils an die zehn Meter hoch, Foto hier).

Weiterlesen „Richard Serra, vergleichsweise subtil“

Es gibt keine Utopien fĂĽr das 21. Jahrhundert

In der heutigen Ausgabe der ZEIT (Hamburg-Seiten) zitiere ich Erck Rickmers, den Unternehmer und Gründer des New Institute, mit den Worten: »Die Menschheit taumelt einer Zukunft entgegen, für die es kaum utopische Szenarien geben kann.«

Das ist ein Satz, dessen Wucht und Tragik man wohl leicht unterschätzt.

Denselben Gedanken lese ich jetzt — etwas weiter ausgeführt — in einem Essay des Literaturwissenschaftlers Nathan Brown.

Browns Denken bewegt sich in den Bahnen marxistischer Theorie, also einer der utopischen Denkrichtungen schlechthin, doch er hat wenig Hoffnung, dass diese auf das 21. Jahrhundert noch anwendbar ist.

Weiterlesen „Es gibt keine Utopien fĂĽr das 21. Jahrhundert“

Frauen, Männer & Malerei

Szene aus ›Scarlet Street‹ (1945)
Abb. 1: Chris, ein Amateur im wahrsten Sinne – er liebt, was er tut

Ab und zu tauchen aus dem unĂĽberschaubaren Wirrwarr des Vergangenen einzelne Geschichten auf, die erstaunlich viel mit unserer Gegenwart zu tun zu haben scheinen.

So ging es mir zuletzt, als ich am Wochenende eher zufällig Scarlet Street schaute (deutscher Titel: Straße der Versuchung). Das ist einer der Filme, die der Regisseur Fritz Lang nach seiner Flucht vor den Nazis in Hollywood drehte, im Jahr 1945.

Scarlet Street erzählt von Chris (gespielt von Edward G. Robinson), einem Buchhalter in New York, der sich sonntags in seinem Badezimmer als Maler versucht. Chris ist ein unauffälliger Mann, der sich damit abgefunden zu haben scheint, dass sich seine Sehnsüchte nicht mehr erfüllen werden.

Er lebt in einer unglücklichen Ehe, sorgt als braver Angestellter für den Wohlstand seines Chefs und malt Bilder, die kein Mensch sehen will. Nämlich (ohne dass das ausgeführt wird) naiverweise gegenständliche Motive, obwohl man sich in New York doch längst einig war, dass die Abstraktion gesiegt hatte.

Doch dann wird Chris eines Nachts Zeuge, wie eine junge Frau auf offener Straße ausgeraubt wird. Er greift ein, schlägt den Täter in die Flucht, nimmt sich ein Herz und lädt die Frau, Kitty (gespielt von Joan Bennett), in eine Bar ein.

Das wird den beiden zum Verhängnis.

Weiterlesen „Frauen, Männer & Malerei“

Eine Eiswaffel voll Zukunft

20230302 - Bohaumilitzky 1

Viele Metaphern sind politisch belastet. Das lehrt der Linguist George Lakoff, dessen Thesen hierzulande durch Elisabeth Wehling unter dem Stichwort des »politischen Framings« popularisiert wurden.

Wer zum Beispiel von »Steuererleichterungen« spricht, nimmt dadurch eine Wertung vor. Man könnte Steuern auch als solidarische Geste, als Investition ins Gemeinwohl oder als Rückzahlung eines staatlichen Kredits begreifen. Wer sie jedoch als Last und Belastung »framet«, kann eigentlich nur noch FDP-Politik machen. Oder verlieren.

Der Designer Frieder Bohaumilitzky (studio lose) beschäftigte sich in seiner Ausstellung Fußnoten zur Zukunft in der Frappant Galerie mit einer visuellen Metapher, die ihm in seiner Forschung zur Designtheorie wiederholt begegnet ist, erzählte er mir, nämlich der »Futures Cone« (wie übersetzt man das: »Eiswaffel der Zukünfte«? Naja).

Weiterlesen „Eine Eiswaffel voll Zukunft“

Party like it’s 199

festefeiern

So sieht es aus, wenn das Museum fĂĽr Kunst & Gewerbe Hamburg eine Ausstellung ĂĽber das Feiern macht.

Feste feiern! (läuft noch bis 25. August) bietet eher keine exzessive Sinnenfreude. Dafür Exponate aus der Antike — und zwei oder drei Thesen dazu, was diese mit heutigen Volksfesten zu tun haben könnten. Zum Beispiel mit Karneval, Silvester oder dem Wacken Open Air.

Einige Anmerkungen zu diese ernsten, anregenden Ausstellung und zu der Doku von Martin D’Costa, die zu diesem Anlass im Auftrag des Museums entstanden ist, gibt’s hier auf ZEIT ONLINE (Aboschranke).

Rundgang HFBK 2024

hfbk1

Am Wochenende war der jährliche Rundgang der HFBK Hamburg. Einige Schnappschüsse und halbspontane Notizen:

Die erste Arbeit, an der ich hängenbleibe, ist Umarell / Audiovisual von Kai Lietzke. Eine Installation aus u.a. mehreren kaputten Computerscreens, auf denen KI-generierte Formen und Farben verlaufen. Klassische Glitch Art vielleicht, aber einnehmend, wie sich die Muster überlagern, ein kleines Ballett der Interferenzen (Ausschnitt, Foto oben links).

Agnieszka Sejud, Mimesis Bubble #3, #4, #5 (2023): Ich bin sicher, dass ich den politischen Gehalt dieser Arbeit verkenne, aber mich begeistert schon, dass ich mich bei dieser Fotoausstellung zwischen den Bildern hindurchschieben muss, diese zur Seite kullern, was den ganzen Raum in Bewegung setzt, so dass mir von hinten andere Bilder gegen den RĂĽcken titschen. Ist das eine zu formalistische Betrachtung? (Foto oben rechts)

Weiterlesen „Rundgang HFBK 2024“

Abschiedsfoto mit Schulsenator

rabe

Mitte Januar war ich fĂĽr ein Interview bei Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD).

Während des Gesprächs stand sein Pressesprecher unvermittelt auf und machte dieses Foto. Hä? Wieso? Egal, Menschen sind seltsam.

Vier Tage später erklärte der Senator völlig überraschend seinen Rücktritt.

Wenn ich gewusst hätte, dass dies nach fast 13 Jahren sein letztes Interview im Amt ist, hätte ich mich bemüht, etwas freundlicher zu schauen.

(Glaube ich.)

Was sonst noch zu sagen ist über den Senator, in dessen Amtszeit sich der Ruf Hamburgs um 180° drehte, vom Verliererland zu einem der Gewinnerländer in der Schulpolitik, das habe ich hier für DIE ZEIT aufgeschrieben.

TschĂĽĂź, du alte Leuchtekiste

20240122_152029

Im Treppenhaus des Hamburger Instituts für Sozialforschung (HIS) hängt ein leuchtender Kasten. Falschrum. Oder gerade richtig rum?

An Ohne Titel (Berlin) von Peter Friedl, einer Arbeit aus dem Jahr 1998, muss jeder Mitarbeitende und jeder Gast des Instituts vorbei — und kriegt gleich ein paar Fragen mit, die ihn einstimmen auf dieses Haus, an dem zu Gesellschaft und Geschichte geforscht wird.

Zum Beispiel: Tut der KĂĽnstler recht daran, wenn er »’68« zu »’89« korrigiert, weil das die wichtigere und richtigere Revolution war?

Oder korrigiert er gar nichts, sondern beklagt vielleicht sogar, dass »’68« durch »’89« auf den Kopf gestellt wurde?

Oder geht es ihm gar nicht um eine Stellungnahme fĂĽr diese oder jene historische Chiffre, sondern um die scheinbare Unvereinbarkeit westdeutscher und ostdeutscher Erinnerungskultur?

Ich weiß nicht, ob der Kasten richtig herum hängt, aber das Kunstwerk hängt hier genau richtig.

Leider nicht mehr lange, denn 2028 soll das Hamburger Institut fĂĽr Sozialforschung schlieĂźen, so hat es sein GrĂĽnder und Finanzier Jan Philipp Reemtsma entschieden.

Heute lief ich mal wieder an Peter Friedls rätselhaftem Leuchtkasten vorbei, auf dem Weg zu Reemtsmas Pressekonferenz zu dieser Entscheidung.

Das Institut wird seine Arbeit einstellen, daran ist wohl nicht mehr zu rütteln, denn Reemtsma sagte, er habe 40 Jahre lang als Mäzen für die Freiheit des Instituts gebürgt, deren Fortbestand durch eine Integration des HIS in eine Uni, eine andere Forschungsinstitution oder eine Stiftung nicht zu gewährleisten sei.

Reemtsma sagte weiterhin, er wünsche sich, dass das Archiv des Hauses erhalten bleiben könne, die Bibliothek, der hauseigene Verlag, die Zeitschrift Mittelweg 36 sowie die Website Soziopolis. Dazu würden nun noch Gespräche geführt werden.

Was wird aus der Kunstsammlung des Instituts? Ich hab vergessen, danach zu fragen.