twen, 1962: Weniger ist mehr

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Drei Doppelseiten aus twen, Nr. 1/1962 (Seite 32—35). Thema und Zeile sind nicht gut gealtert, aber wie die riesig aufgeblasenen Fotos ballern: Wow.

Und die Idee, die Headline der Titelgeschichte nur ganz klein unten rechts ins Bild zu schieben, wie geflĂŒstert und im vollen Vertrauen auf die Kraft des Fotos: Doppelwow.

Den ganzen Text gibt es hier. Geschrieben hat ihn Sarah Sonntag (wohl ein Pseudonym), Fotos von Willy Rizzo (Cover), Jeanloup Sieff und Joan van der Keuken. Chefredakteur Willy Fleckhaus.

Mehr zu twen in diesem Buch (nur noch antiquarisch erhĂ€ltlich), mehr zur Arbeit von Willy Fleckhaus (als Gestalter bei twen, bei Suhrkamp, beim FAZ Magazin, … ) in diesem Buch.

Online-Dating im Schlager, 1968–2018

In der Kritik der Unterhaltsmusik gibt es die große Schlager/Pop-Dichotomie. Schlager steht da fĂŒr Eskapismus, Pop fĂŒr contemporariness (und dass es fĂŒr letzteren Begriff keine ordentliche deutsche Übersetzung gibt, deutet schon darauf hin, dass das Deutsche eher Schlagersprache als Popsprache ist).

So ganz stimmt das aber nicht. Der Sound und das Idiom mit dem der Schlager der 1960er-Jahre vorgetragen werden, mag das fĂŒr uns heute verschleiern, aber im Sixities-Schlager finden sich immer wieder Spuren von Gegenwart, ModernitĂ€t und Fortschritt.

Zum Beispiel im Song Computer Nr. 3 von der Anfang des Jahres leider verstorbenen SĂ€ngerin France Gall:

Der Song erschien 1968, und damals war Computer-assistiertes Dating ein großes Thema in Deutschland. Die Zeitschrift Twen (verkaufte Auflage laut Spiegel-Bericht: 180.000 Exemplare) rief damals auf ihren September-Titel zum bereits dritten Twen Rendez-Vous auf: „Machen Sie mit: Neue Liebe per Computer.“

Leserinnen und Leser sollten einen Fragebogen zu ihren Vorlieben und Gewohnheiten ausfĂŒllen und diesen an die Redaktion einschicken. Gegen eine kleine GebĂŒhr wurde der Bogen dann digitalisiert, in eine Datenbank eingespeist und mit den Fragebögen von Teilnehmern des jeweils anderen Geschlechts abgeglichen um ein möglichst perfektes Match zu finden („des anderen Geschlechts“, denn: HomosexualitĂ€t war gerade straffrei geworden und durchaus ein Thema in Twen, nicht aber im Rendez-Vouz).

Die Idee findet sich nirgendwo so pointiert formuliert wie in dem Song von France Gall: „Einer von vielen Millionen, der wartet auf mich irgendwo“. Im Kern geht es also um eine romantische Idee: Irgendwo da draußen ist der Mensch, der perfekt zu dir passt. Kugelmensch-mĂ€ĂŸig. Und dank modernster Technik wird der jetzt sogar auffindbar! So zumindest das Versprechen.

France Gall sang also keinen Blödsinn und auch nicht von einer Fantasie – sondern vom state of the art von Medien, Technik und Fortschritt ihrer Zeit. Das ist das Gegenteil von Eskapismus. Und das gibt es auch heute, 50 Jahre spĂ€ter, noch im Schlager. Nur, dass es 2018 leider unfassbar kacke klingt:

Darf man noch »Hipster« sagen? Und was hat das mit Miley Cyrus zu tun? Schnelle Zwischenbilanz zur jĂŒngsten Begriffsgeschichte

Video: Miley Cyrus verwandelt bei den American Music Awards die BĂŒhne in ein Tumblr. Ein spĂ€ter Sieg des Hipsterism?

Es ist ja nicht so, dass wir immer gewusst hĂ€tten, wovon wir sprachen. OK, frĂŒher (zu Zeiten von Diedrich Diederichsens Sexbeat), oder ganz frĂŒher (zu Zeiten von Norman Mailer & Twen), da wussten die Leute vielleicht, was gemeint war, wenn einer »Hipster« sagte.

Aber seit der Begriff wieder Teil des Sprechens und Nachdenkens ĂŒber zeitgenössische Kultur geworden ist, also spĂ€testens seit 2008, als Adbusters zur Hipster-Kritik ansetzte, und verschĂ€rft noch einmal ab 2010, als der breit rezipierte n+1-Reader What was the Hipster erschien (Sexbeat war 1985, Twen 1962), war da immer auch eine UnschĂ€rfe – wohl auch deshalb, weil diese Begriffsgeschichte des »Hipster« kaum eine Rolle spielte.

Bereits in seinem ergĂ€nzenden Kapitel zur deutschen Übersetzung von What was the Hipster (erschienen 2012 unter dem schlichten Titel Hipster) wies Jens-Christian Rabe darauf hin, dass »Hipster« heute (= Anfang 2012) vor allem als Schimpfwort benutzt werde und dabei an TrennschĂ€rfe einbĂŒĂŸe. Ein »Hipster« sei demnach so etwas wie ein »irrer Idiosynkrat«, ein »krampfiger Exzentriker«, bestenfalls noch ein »Konsum-Avantgardist«, in jedem Fall aber ein Opfer des »Distinktionswahn«.

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