Schöner leben mit dummen Telefonen

Katja Kullmann schreibt in der taz über ihr Leben ohne Smartphone:

Je mehr Apps die Leute sich herunterluden, desto trauriger und schlapper schienen sie zu werden. Als Außenseiterin konnte ich das Elend gut beobachten, in der U-Bahn, in den Mittagspausen: Wie sie auf ihren Maschinchen rauf- und runterscrollen, jede und jeder für sich, mit hängenden Köpfen. Welke Tulpen sah ich – während die Tulpen mich nicht sahen.

Das Essay Mein Leben ohne Äppärät ist zugleich ein Plädoyer für »slow media« und selbst ein wunderbares Stück »slow media«: Eine Mischung aus Memoir, Kulturgeschichte und Kritik, also ein Genre, dass Deutsche eigentlich gar nicht beherrschen, sondern nur Amerikaner*innen.

Bitte hier lesen. Oder in der gedruckten wochentaz auf diesem herrlich altmodischen beige-grauen Knisterpapier – und mit einer schönen Dumbphone-Collage als Layout.

Klaus Walter stresst rum:

Ui! Einer der prominentesten Popkritiker des Landes hat mich in der tageszeitung als Lebendbeispiel für einen „linke[n] Kulturpessimisten“ angeführt, der Remixe für „Trojanische Pferd[e] der neoliberalen Unterwanderung unseres Alltags“ hält. Lustig verquaster Blödsinn! Aber auch ärgerlich, denn: 1) seine Projektionen klingen fast plausibel und 2) er schummelt.

Lesen Sie hier.

Hier meine Antwort: 

Herr Walter!

ich finde etwas beunruhigend, wie ausführlich Sie das Feindbild des „Puristen“ und „linken Kulturpessimisten“ an die Wand malen, was Sie ihm alles für Ängste und irrationale Ressentiments zuschreiben und wie Sie dann, um seine angebliche Existenz zu belegen, ein einziges Zitat heranziehen. Und zwar von mir! Und dann klingt das in der Oberlehrerhaftigkeit meiner Formulierung auch noch so, als könnten Sie Recht haben!!

Mist, 1:0 für Sie.

For the record: Ich habe überhaupt nichts gegen Remixe oder „digitale Reproduzierbarkeit“ oder „neue Technologien“. Im Gegenteil: Ich finde wenig Auratisches an einer Compact Disc und will auch nicht das Internet abschalten. (Wenden Sie sich hierfür vertrauensvoll an Bill Kaulitz und Hosni Mubarak.)

Das alles wird aber auch in meiner „We’re New Here“-Kritik deutlich, wenn man sie nicht nur dort zitiert, wo ich mich an einer polemischen Pointe versuchte. Das Remixalbum „We’re New Here“ klingt gut, ist aber einer Dimension beraubt, die das Original für mich besonders interessant machte: Gil Scott-Herons scheinbar autobiographischen Texte, die es schaffen, explizit politisch, dabei aber nicht peinlich zu sein. Das und nichts anderes habe ich bemängelt.

Sie selbst erlauben sich zu Gunsten des polemischen Effekts argumentative Taschenspielertricks, wenn Sie verschweigen, dass schon „I’m New Here“ ein Album ist, dass sammelt und samplet, alte und neue Musiktraditionen und Sounds mixt, was in meiner Rezension auch gewürdigt wurde. Wenn es die Puristen und Pessimisten gibt, von denen Sie schreiben, dann werden die auch „I’m New Here“ scheiße finden. Und sich um dessen Remix nicht scheren.

Nichts für Ungut & herzliche Grüße,
Oskar Piegsa

Monate später: Fühlt sich Walter zu einer Reaktion aufgerufen? Nö.

Die »Latte Macchiatisierung« aller politischen Diskurse, oder: Notizen zur transatlantischen Kulturgeschichte des Einwegkaffees [Up’d]

Abb. 1: Exemplarische Kaffeetrinker (Photo by SanFranAnnie, via, CC-BY-SAN)

Starbucks war das Symbol der Nullerjahre. Zahlreiche Diskussionen um die »Schöne Neue Welt, ca. 2000–2009« ließen sich mit dem Unternehmen illustrieren (und Zeitgeist-Bücher natürlich auch):

In Deutschland war da einerseits die Idee, dass man als junger Kreativer keinen festen Arbeitsplatz und kein Anstellungsverhältnis mehr bräuchte, solange nur ein Milchkaffee und WLAN-Zugang in der Nähe sind. Die »digitale Bohème« arbeitete angeblich nicht mehr im Büro, sondern im Café. Andererseits wurde der Pappbecher zum Chiffre für die Gentrifizierungs- und Privatisierungskampagnen des ehemals öffentlichen Raums. In einem Interview über Stadtaufwertungsprozesse in Hamburg sagte Christoph Schäfer:

In dem Moment, als die Leute anfingen, mit dem Pappbecher in der Hand durch die Straße zu gehen, hat sich die Art und Weise verändert, in der man die Stadt benutzt. Das hat in diesen schicken neuen Zonen etwas von einem Berechtigungsschein: Du konsumierst im öffentlichen Raum, du darfst da sein.

In Amerika galt Starbucks Konservativen derweil lange als Symbol europäisierten, effeminierten, linksliberalen, urbanen und auch sonst schlichtweg teuflischen Ostküsten-Snobbismus (nachzulesen etwa bei Thomas Frank). Trotzdem konnte sich der Macht (oder: den verlockenden Gewinn-Margen) der »Lattes« kaum ein Gastro-Unternehmen entziehen. In einem wunderbar paradoxen Schachzug führte etwa Dunkin‘ Donuts mitten im verlängerten Vorwahlkampf der Demokraten 2008 eigene »Lattes« ein.

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