»Science Fiction(s)«: Ausstellung im Weltmuseum Wien

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Science-Fiction und Ethnologie haben auf den ersten Blick wenig gemein, aber, schreiben die Kurator*innen der Ausstellung Science Fiction(s) im Weltmuseum Wien, sie seien miteinander verflochten.

Erstens, weil Sci-Fi eine Fortschreibung (vor-) kolonialer Reiseliteratur darstellt, die vorgeblich von weit entfernten Regionen und fremden Menschen erzählt, dabei aber tatsächlich oft Themen der Herkunftsgesellschaft der Autor*innen verhandelt. Ein Paradebeispiel aus dem Sci-Fi-Genre ist dafür H.G. Wells Zeitmaschine.

Zweitens, weil die Ethnologie selbst lange als eine Art Zeitmaschine verstanden wurde. Indigene Kulturen waren nach dem Verständnis des 19. und frühen 20. Jahrhunderts gegenüber den Staaten Europas auf einer früheren Entwicklungsstufe der Menschheit zurückgeblieben. Eine Reise um die Welt war demnach zugleich eine Reise durch die Geschichte.

Dem könnte man noch ein Drittens hinzufügen: Nach allem, was wir heute wissen, führt der westliche Lebensstil in die Dystopie (Sci-Fi-Autor*innen haben es schon immer geahnt). Nun kursiert der Begriff des »indigenen Wissens«, denn plötzlich scheint es vorstellbar, dass wir etwas lernen könnten von Kulturen, die teils Jahrhunderte lang im Einklang mit ihrer Umwelt lebten, ehe die Alien-Invasion begann. Wobei die Aliens hier die Europäer*innen waren.

Die Ausstellung Science Fiction(s) spielt mit diesen Ideen und zeigt aktuelle Arbeiten internationaler Künstler*innen, die Sci-Fi-Motive aufgreifen oder alternative Zukünfte imaginieren.

Etwa die Collage-Arbeit The Zenith (2022) von Cara Romero, die das erste Bild ist, das man in dieser Ausstellung sieht (Foto oben links). Oder das unheimliche Algenlabor tecuitlatl (2022) von Fara Peluso, Hüma Utku und María Antonia González Valerio (oben rechts).

Andere Arbeiten sind stärker narrativ angelegt, wie der klassisch erzählte Kurzfilm The Intersection von Superflux, dessen Stärke weniger in seiner Idee liegt, nach der Apokalypse könnte eine neue und bessere Gesellschaft entstehen (diese Idee halte ich nicht nur für zu optimistisch, sondern für potentiell gefährlich – es sollte schon misstrauisch machen, dass sich auf diese Idee alle einigen können, egal wie weit ihre Vorstellung von der guten Gesellschaft ansonsten auseinandergeht, etwa Neo-Nazis, Neoliberale, Trumpisten und andere), als im Einsatz von Found Footage, mittels derer Superflux die Apokalypse aus dem Kino und der fernen Zukunft in unsere unmittelbare Gegenwart rücken. Das verleiht dem Film erst seine Wucht.

The Intersection ist in Gänze hier zu sehen:

Science Fiction(s) bietet keine stringente These, sondern fächert verschiedene Denkrichtungen und Möglichkeiten auf, was ich sehr inspirierend finde, auch wenn manches rätselhaft bleibt.

Ästhetisch interessant ist, wie oft hier Versatzstücke der hegemonialen Massenkultur — Star Wars, Lego — genutzt werden, um diese zu kritisieren oder alternative Welten zu entwickeln. Das also scheint zu stimmen: Das Neue entsteht aus dem Alten. File under: creative reading bzw. creative re-writing & remixing.

En passant ist die Ausstellung ein Beitrag zur Diskussion um Sinn und Zweck ethnologischer Museen (dass man ethnografische Ausstellungen um ein oder zwei aktuelle Arbeiten ergänzt, ist wohl die Regel geworden, doch hier gibt es ausschließlich zeitgenössische Kunst 😱).

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Science Fiction(s) wurde kuratiert von Stella Asiimwe, Claudia Augustat, Jonathan Fine, Ute Marxreiter sowie Tobias Mörike und läuft noch bis 9. Januar 2024. Es gibt einen lesenswerten Katalog zum fairen Preis von 25 Euro hier.

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