Linke Wanderer, rechte Wanderer

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Caspar David Friedrich ist gerade überall, sogar auf Demoaufrufen zum 1. Mai.

Dieses Plakat ist von dem noch relativ neuen Bündnis »Wer hat, der gibt«, über das mein Kollege Tom Kroll neulich in seinem Artikel über die radikale Linke in Hamburg berichtet hat.

Ohne das als eine inhaltliche Aussage über das Büdnis verstanden wissen zu wollen, finde ich das Plakat der Gestalterin Chukky Fuck ziemlich super. Der Wanderer über dem Nebelmeer ist längst zur Meme geworden und dieses Plakat setzt das nicht nur fort, sondern verspottet es zugleich.

Bisher wurden billig gemachte Collagen des Wanderers nämlich oft dann bemüht, wenn es rechte Ängste und Sehnsüchte zu bebildern galt.

Caspar

Angefangen hat das, soweit ich weiß, 1995 mit dem Spiegel. Zum 50. Jahrestag der Befreiung erklärte das Magazin die deutsche Geschichte für bewältigt und ließ den Wanderer auf seinem Titelblatt über alles hinwegblicken, das uns folglich nicht mehr zu kümmern braucht, Konzentrationslager usw.

Im Jahr 2015 legte dann der Stern nach und ließ zur Zeile »Wie viele Flüchtlinge verträgt Deutschland?« fremde Menschen über das Nebelmeer marschieren. Ausländer nahmen uns jetzt also nicht mehr nur die Arbeitsplätze weg, sondern auch die gute Aussicht.

Es gab noch weitere Titelblätter mit dem Wanderer (eine schöne Übersicht hat Weltalf), dies sind nur die beiden missglückteren.

Ein schönes Detail am 1.-Mai-Aufruf von »Wer hat, der gibt« ist auch Friedrich Merz, aus dessen leerem Schädel Björn Höcke tönt. Als politische Kritik ist das nicht wahnsinnig raffiniert, aber es erinnert mich an den Dadaisten Raoul Haussmann, der in einem seiner bekannteren Bilder einem Mann (da, wo sonst das Gehirn ist) allerlei technische Apparate aus dem Schädel quillen lässt.

Und ist Dada für unsere Zeit nicht eine passendere kunstgeschichtliche Referenz als die Romantik?

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