Roy Lichtenstein, der menschliche Bildgenerator

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Hat man sich an Roy Lichtenstein nicht längst satt gesehen? Ich dachte: ja. Dann wurde ich im Albertina Museum in Wien eines Besseren belehrt. Dort läuft noch bis 14. Juli 2024 eine große Retrospektive anlässlich des 100. Jahrestag der Geburt des Künstlers.

Schon das erste Bild der Lichtenstein-Ausstellung ist so super gewählt: das Temple of Apollo Billboard Poster (1967). Es handelt sich um ein Werbeplakat, das Lichtenstein anlässlich seiner ersten Retrospektive in den USA entworfen hat. Äh, ist das nun Kunst oder Werbung?

Und damit ist man mittendrin in den Themen der Ausstellung: Welchen Platz hat Kunst in der Ära der Massenproduktion von Bildern? Was ist originell, was Abklatsch?

Fragen, die Anfang der Sechzigerjahre aufkamen, aber uns heute immer noch (oder: wieder ganz neu) beschäftigen.

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Roy Lichtenstein ist bekannt als »Comic-Maler« und Look Mickey (1961, hängt sonst in der National Gallery of Art in Washington D.C.) gilt als das erste Bild, für das er mit dem Comicstil arbeitete. Es ist das älteste Werk in dieser Ausstellung, seine früheren abstrakten Gemälde fehlen hier (leider). Angeblich waren Lichtensteins Kinder so genervt von der Kunst des Vaters, dass sie sagten, er könne nicht annähernd so gut malen wie Disney. Der Anekdote nach schnappte sich Lichtenstein ein Bilderbuch und bewies das Gegenteil.

Er kopierte das Motiv aus dem Buch jedoch nicht gewissenhaft, sondern veränderte das Motiv: Es wirkt bei ihm weniger räumlich, seine Farben sind zudem schlichter und greller. Und den Text, der im Original in einer gedruckten Bildunterschrift steht, ergänzt Lichtenstein als Sprechblase. Lichtenstein machte den Comic also noch comic-hafter. Damit hatte er den Stil gefunden, der auch seine späteren Werke prägen wird.

Wobei – noch nicht ganz. Man sieht in dieser frühen Arbeit noch Vorzeichnungen mit dem Bleistift und Ungenauigkeiten beim Ausmalen, die seinen Pinselstrich offenbaren. Das Bild Look Mickey trägt also noch deutliche Spuren seiner Entstehung durch die Hand eines Menschen, nicht durch eine Maschine.

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Zwei Jahre später hat Lichtenstein in Hopeless (1963, eine Leihgabe aus dem Kunstmuseum Basel) seinen Comic-Stil perfektioniert. Wieder zeigt das Bild handwerkliche Ungenauigkeiten, doch dieses Mal setzt Lichtenstein sie gezielt ein, um sein Gemälde wie einen billigen Druck aussehen lassen.

Die roten Ben Day Dots auf weißem Untergrund, die die Haut der Frau rosig erscheinen lassen, sind auch dort zu sehen, wo sie nicht hingehören, nämlich in ihren weißen Tränen und Fingernägeln. So imitiert Lichtenstein Druckplatten, die leicht verrutscht sind. Ein unscharfes oder verwackeltes Foto wirkt oft authentischer als ein scharfes, gut ausgeleuchtetes, handwerklich makelloses Foto. Diesen Effekt macht sich Lichtenstein hier zu eigen, indem er durch gezielt platzierte »Fehler« Authentizität behauptet. Allerdings die Authentizität nicht eines künstlerischen, sondern eines maschinellen Werks. Das Bild soll echt unecht wirken.

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Die Ausstellung in der Albertina zeigt auch Notizhefte, in denen Lichtenstein Panels aus Comics sammelte. Zuletzt gab es einige Kritiker, die ihn posthum des Plagiats überführen wollten. Was ein bisschen seltsam ist. Lichtenstein hat Comics abgemalt? Ja klar, das ist doch gerade die Idee!

Lichtenstein tilgt aus seinen Werken, was sie als originell, menschlich, wertig erscheinen ließe und schafft Bilder, die noch billiger und maschineller aussehen als die billigen Bilder aus der Maschine. Er greift dabei auf einen Fundus älterer Bilder zurück, die er leicht variiert. Man könnte sagen: Er arbeitet, wie heute KI-Bildgeneratoren.

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Eine »high culture«, die außerhalb dieser »low culture« existieren würde, gibt es bei ihm nicht mehr. Die Massenkommunikation frisst alles, siehe den griechischen Tempel als Werbemotiv (zu dem Lichtenstein laut dem Wandtext dieser Ausstellung übrigens von der Fototapete eines griechischen Restaurants in New York inspiriert wurde).

Am Ende erscheint bei ihm in Little Big Painting (1965, aus dem Whitney Museum in New York) der expressive künstlerische Strich als das größte Klischee überhaupt.

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