False Friends: Was heißt »Weimar« auf Deutsch? Und was »Hindenburg«?

Im Fremdsprachen-Unterricht ist manchmal von false friends die Rede: Wörter, die ähnlich klingen, aber nicht dasselbe bedeuten. Das englische Wort warehouse klingt beispielsweise wie das deutsche »Warenhaus« (also »Kaufhaus«). Tatsächlich ist es mit »Lagerhalle« korrekt übersetzt. Das englische Wort für »Kaufhaus« ist department store.

Die false friends sind eine Falle, in die manchmal selbst professionelle Übersetzerinnen und Übersetzer tappen. Ich erinnere mich noch daran, wie ich vor rund zehn Jahren den Roman The Taqwacores des amerikanischen Autoren Michael Muhammad Knight in der deutschen Übersetzung las. Es geht in dem Roman um eine Gruppe muslimischer Punks, junge Menschen, die gläubig sind, aber nicht unbedingt regelkonform. Und, wow, wie rebellisch die waren! Da stand sogar, einer der Protagonisten esse gelegentlich Pizza mit Peperoni!

Äh, … und? Was ist das Problem? Ganz einfach: Es handelt sich um einen false friend. Das englische Wort peperoni pizza heißt auf Deutsch »Salami-Pizza« und Salami besteht aus Schweinefleisch, ist für Muslime also verboten. (Etwas ausführlicher habe ich über den Roman The Taqwacores in der Popzeitschrift Spex sowie hier geschrieben.)

Von einem false friend im weiteren Sinne – nämlich von historischen Begriffen, die auf unterschiedlichen Seiten des Atlantiks unterschiedliche Dinge bezeichnen – las ich neulich in einem Interview mit dem Kulturwissenschaftler Wolfgang Schivelbusch. In dem Buch Die andere Seite. Leben und forschen zwischen New York und Berlin spricht er über die Bedeutung des Begriffs »Weimar« im Deutschen und im Englischen.

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Darf man noch »Hipster« sagen? (2) Hier kommen die »Mipsterz«

Video: Das sindse, die selbsterklärten »Mipsterz«

Ein Video auf YouTube: Junge & hübsche & selbstbewusste Frauen fahren mit dem Longboard durch die Stadt, laufen im Gegenlicht durch den Park, hängen auf Feuerleitern rum. Im Hintergrund rappt Jay-Z über die Skandalnudel der Saison (»Twerk, Miley, Miley, twerk!«). Nach zweieinhalb Minuten ist alles vorbei. Tja. Sonst noch was? Ach ja: die Frauen tragen Kopftuch.

»Mipsterz« heißt das Video, das Anfang des Monats veröffentlicht wurde. Das ist kurz für »Muslim Hipsters« und es gibt bereits die dazu passende Fanpage auf Facebook, eine Google-Group und einen Hashtag auf Twitter. Und einen Tumblr, natürlich.

Mein erster Gedanke dazu war: Wow. Das fast bis zur Bedeutungslosigkeit verkümmerte H-Wort taucht hier in einem neuen Kontext auf, dieses Mal als Selbstbezeichnung – und provoziert auf einmal wieder. Das »Mipsterz«-Video ist eine Adrenalinspritze für die »Hipster«-Debatte.

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Fünf (plus fünf) Bücher des Jahres 2012

Spontan & schmerzfrei: Einige Bücher, ohne die das Jahr für mich ganz anders verlaufen wäre. An die ich mich auch 2013 noch erinnern werde. Und die ich ohne Einschränkungen weiterempfehle.

1. Ein Roman, von dem Freunde sagen »Das ist nie und nimmer eines der Bücher des Jahres!«:
Michael Muhammad Knight – Taqwacore (bei Rogner & Bernhard, hier meine Rezension)

2. Der einzige Roman auf der Buchpreis-Shortlist, den ich freiwillig & gern gelesen habe:
Ulf Erdmann Ziegler – Nichts Weißes (bei Suhrkamp)

3. Der ausgezeichnete Debütroman des Jahres:
Olga Grjasnowa – Der Russe ist einer, der Birken liebt (bei Hanser, hier unsere Jury-Begründung)

4. Ein großartiger Essay, den zu viele Leute noch nicht gelesen haben:
Emmanuel Carrère – Limonow (bei Matthes & Seitz Berlin, hier meine Rezension)

5. Ein lesenswertes Sachbuch zu einem Thema, von dem ich jetzt schon nichts mehr wissen will:
John Gray – Wir werden sein wie Gott (bei Klett-Cotta, hier meine Rezension)

Außerdem unvergessen & unsortiert: John Jeremiah Sullivan – Pulphead (bei Suhrkamp), Katja Kullmann – Rasende Ruinen. Wie Detroit sich neu erfindet (bei Suhrkamp), Beatriz Preciado – Pornotopia. Architektur, Sexualität und Multimedia im Playboy (bei Wagenbach), Christian Kracht – Imperium (bei Kiepenheuer & Witsch), Mark Greif (Hrsg.) – Hipster. Eine transatlantische Diskussion (bei Suhrkamp)

Das wird im nächsten Jahr schlechter: Ich werde nicht mehr als nervöser Fanboy im Kölner Literaturhaus zwischen Mark Greif und Diedrich Diederichsen sitzen und so tun, als würde ich die beiden moderieren.

Das wird im nächsten Jahr besser: Ich werde nicht mehr in jeder zweiten Verlagsvorschau den blöden und unbegründeten Satz lesen »Dieses Buch könnte die Bibel der Occupy-Bewegung werden!«

Das ist an dieser Liste unseriös: 1. Sie schafft nicht die Frauenquote von mehr als 30 Prozent. 2. Im Dezember kommen auch noch Bücher raus (aber die lese ich eh erst im Januar) 3. Bitte in die Kommentare schreiben

Kulturkampfbekämpfer. Über den Roman »Taqwacore« von Michael Muhammad Knight (und die Street Art von Princess Hijab & NiqaBitch)

Abb.: Beispiel für Princess Hijabs »Verschleierung« vom Werbeplakaten (Foto via yaplog)

»I am an Islamist, I am the Antichrist«, schreit ein verschwitzter, halbnackter Pakistani ins Mikrofon. Der Bassist neben ihm trägt Iro und die islamische Mondsichel auf dem T-Shirt. Und vor der Band, die ebenerdig mit ihrem Publikum spielt, schubst sich ein Burka tragendes Mannsweib den Weg in den Moshpit frei. Es ist der Sommer 2007 und der Schauplatz ein kleiner, dunkler Kellerclub in Chicago. Die Decke ist niedrig, die Anlage überfordert und der Sound beschissen, doch das Publikum hat Spaß. Etwas abseits der Pogotänzer steht eine Gruppe junger Muslimas, die mit ihren verschleierten Köpfen im Takt nicken. Die Band nennt sich The Kominas, das bedeutet »Bastard« oder »Mensch von niedriger Geburt« in der pakistanischen Nationalsprache Urdu. Und der Song, auf den alle abfeiern heißt »Sharia Law in the U.S.A.«.

Diese Szene ist in Omar Majeeds Dokumentarfilm »Taqwacore: The Birth of Punk Islam« zu sehen – und nein, die Band fordert darin nicht die Einführung der Scharia auf dem amerikanischen Kontinent. Der Song spielt auf »Anarchy in the U.K.« von den Sex Pistols an. Die störten 1977 die Feierlichkeiten zum silbernen Amtsjubiläum von Queen Elisabeth II., marschierten mit Hakenkreuz-Emblem durch London und verunsicherten die britische Gesellschaft auf eine Weise, die seitdem oft nacherzählt, bewundert und verklärt wurde, aber in ihrer Intensität niemals wiederholbar schien. 30 Jahre später zeigt sich nun: Das Provokationspotential des frühen Punk ist wiederholbar. Man muss nur seinen Zeichen und Reizwörter aktualisieren: Islamisierung des Westens statt Zerfall des britischen Empires, Burka statt Hakenkreuz, »Scharia« statt »Anarchie«.

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