False Friends: Was heißt »Weimar« auf Deutsch? Und was »Hindenburg«?

Im Fremdsprachen-Unterricht ist manchmal von false friends die Rede: Wörter, die ähnlich klingen, aber nicht dasselbe bedeuten. Das englische Wort warehouse klingt beispielsweise wie das deutsche »Warenhaus« (also »Kaufhaus«). Tatsächlich ist es mit »Lagerhalle« korrekt übersetzt. Das englische Wort für »Kaufhaus« ist department store.

Die false friends sind eine Falle, in die manchmal selbst professionelle Übersetzerinnen und Übersetzer tappen. Ich erinnere mich noch daran, wie ich vor rund zehn Jahren den Roman The Taqwacores des amerikanischen Autoren Michael Muhammad Knight in der deutschen Übersetzung las. Es geht in dem Roman um eine Gruppe muslimischer Punks, junge Menschen, die gläubig sind, aber nicht unbedingt regelkonform. Und, wow, wie rebellisch die waren! Da stand sogar, einer der Protagonisten esse gelegentlich Pizza mit Peperoni!

Äh, … und? Was ist das Problem? Ganz einfach: Es handelt sich um einen false friend. Das englische Wort peperoni pizza heißt auf Deutsch »Salami-Pizza« und Salami besteht aus Schweinefleisch, ist für Muslime also verboten. (Etwas ausführlicher habe ich über den Roman The Taqwacores in der Popzeitschrift Spex sowie hier geschrieben.)

Von einem false friend im weiteren Sinne – nämlich von historischen Begriffen, die auf unterschiedlichen Seiten des Atlantiks unterschiedliche Dinge bezeichnen – las ich neulich in einem Interview mit dem Kulturwissenschaftler Wolfgang Schivelbusch. In dem Buch Die andere Seite. Leben und forschen zwischen New York und Berlin spricht er über die Bedeutung des Begriffs »Weimar« im Deutschen und im Englischen.

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Spex, 1988: »The German Issue«

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Im September 1988 veröffentlichte die Popkultur-Zeitschrift Spex ihre »German Issue« mit den jungen Goldenen Zitronen auf dem Cover sowie der Ankündigung: »Deutschland alle Bands komplette Liste 255 deutsche Bands«.

Gehen wir mal davon aus, dass das mit der »kompletten Liste« nicht ganz ernst gemeint war. Genau so wenig wie die Nationalfarben und die Frakturschrift auf dem Cover.

(Bei der Betitelung als »The German Issue« handelt es sich wiederum mutmaßlich um einen Verweis auf diese Ausgabe der Zeitschrift Semiotext(e) aus den USA).

Trotzdem folgt im Heft eine Liste von »A« — »Abwärts« bis »X/Y/Z« — »Yellow Sunshine Explosion« (Kurzbeschreibung: »Dortmunder Garagen-Acid, in ihrer Stadt auf verlorenem Posten«). Insgesamt nimmt die Liste — mit Bezugsadressen und allem — 14 Seiten ein (von 84 Seiten insgesamt).

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Oh, Jacobin! Hello again!

It’s been more than five years since I met Bhaskar Sunkara, the founder and editor of Jacobin Magazine, in a coffee shop in a basement somewhere in Bed-Stuy. He was in his 20s, I was in my 20s and I had no idea he’d write American history.

Back then, I’d been on a trip down the east coast to meet the editors of a resurgent scene of little magazines who published their cultural criticism the (very) old way: With black ink on white paper, with little or no photos or fancy layouts, in a language free of jargon and academese. Serious people. Smart people. People who seemed rather out of place in the 21st century.

After all, newspapers and magazines were dying left and right and experts talked about the wonders and inevitability of a form of digital publishing that was geared towards social media. Which meant: Short pieces. Short sentences. Don’t provoke people to think. Trigger them, so your shit may go viral.

Talking to the editors of n+1 (in New York), The Baffler (in Cambridge and DC), The Point (in Chicago) and Jacobin (also in NY) was inspiring. Here were people who demanded the right to treat their readers like grown-ups. I loved it.

But my trip also felt like a rather nerdish pursuit. I’d written about n+1 for Spex, but when I embarked on my journey, I had no idea whether I would find a German publication that might be interested in my exploits. Eventually, DIE ZEIT offered a whole page for me to introduce their readers to n+1, The Baffler, The Point and Jacobin. My piece was called „Klare Sprache, schwarze Tinte“. Someone even translated it into English, guerilla-style.

Fast forward five years and I pull this book from my mailbox. It’s an anthology of German translations of pieces taken from Jacobin, published by Suhrkamp Verlag.

It makes sense to read and to re-read Jacobin pieces now. After all, on both sides of the Atlantic, the left is struggling to find it’s purpose. Jacobin, in the meantime, has been part of the revival of socialist thought in the US, one of the many unexpected surprises on the American political scene in recent years.

Über Rechte reden (II) 

Diedrich Diederichsen über das Buch Mit Rechten reden:

[D]ass es einen Zusammenhang zwischen dem Treiben einiger schrulliger sogenannter rechter Intellektueller und den Erfolgen von AfD oder FPÖ gibt […] ist natürlich Bullshit. Das ist eben nicht Leninismus, es geht nicht eine denkende Avantgarde voraus, und dann folgen die Massen auf die Straße. Es ist genau andersrum. Diese sogenannten Intellektuellen hängen sich eher an die Erfolge des Pöbels ran. Die Straße ist vorausgegangen.

Heißt für Diederichsen: Besuche von Journalisten in Schnellroda sind unnötig und sogar falsch, weil es darum gehe, politische und soziologische Zusammenhänge zu analysieren, nicht darum, was an einzelnen Akteuren, die im Zuge von Pegida etc. gefühlt an Relevanz gewinnen, „als [Privat-] Personen interessant sein könnte“.

Dann eine eher abenteuerliche These (oder ein Witz):

[D]ie sogenannten rechten Intellektuellen […] entstehen erst dadurch, dass die Linke sich vor ihnen gruselt.

(Aus: Spex #378, Januar/Februar 2018)

Leben und Tod im Pop und Museum

Die Spex titelt zum Tod im Pop. Schon wieder. Mich würde ja mehr interessieren, mal wieder Leben im Pop zu entdecken.

Das war mein erster Gedanke. Mein zweiter: Ächz, immer dieser reflexhafte, destruktive Sarkasmus. Mein dritter: Doch, da ist schon was dran.

Die Frage nach dem Belebten und Unbelebten im Pop ist gerade aktuell: Es wird viel von der Musealisierung von Popkultur gesprochen (nicht erst seit den Ausstellungen zu Bowie und zu Björk). Zudem breitet sich in der Geschichtswissenschaft ein Interesse an Pop aus (mit einer Konferenz in Berlin, einer Vorlesungsreihe in Hamburg, mehrbändigen Readern, etc.).

Kritiker dieser Entwicklung stellten Fragen wie:

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Darf man noch »Hipster« sagen? Und was hat das mit Miley Cyrus zu tun? Schnelle Zwischenbilanz zur jüngsten Begriffsgeschichte

Video: Miley Cyrus verwandelt bei den American Music Awards die Bühne in ein Tumblr. Ein später Sieg des Hipsterism?

Es ist ja nicht so, dass wir immer gewusst hätten, wovon wir sprachen. OK, früher (zu Zeiten von Diedrich Diederichsens Sexbeat), oder ganz früher (zu Zeiten von Norman Mailer & Twen), da wussten die Leute vielleicht, was gemeint war, wenn einer »Hipster« sagte.

Aber seit der Begriff wieder Teil des Sprechens und Nachdenkens über zeitgenössische Kultur geworden ist, also spätestens seit 2008, als Adbusters zur Hipster-Kritik ansetzte, und verschärft noch einmal ab 2010, als der breit rezipierte n+1-Reader What was the Hipster erschien (Sexbeat war 1985, Twen 1962), war da immer auch eine Unschärfe – wohl auch deshalb, weil diese Begriffsgeschichte des »Hipster« kaum eine Rolle spielte.

Bereits in seinem ergänzenden Kapitel zur deutschen Übersetzung von What was the Hipster (erschienen 2012 unter dem schlichten Titel Hipster) wies Jens-Christian Rabe darauf hin, dass »Hipster« heute (= Anfang 2012) vor allem als Schimpfwort benutzt werde und dabei an Trennschärfe einbüße. Ein »Hipster« sei demnach so etwas wie ein »irrer Idiosynkrat«, ein »krampfiger Exzentriker«, bestenfalls noch ein »Konsum-Avantgardist«, in jedem Fall aber ein Opfer des »Distinktionswahn«.

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(Ein) Lied des Jahres: Zebra Katz ft. Njena Reddd Foxxx »Ima Read«

Video: Zebra Katz ft. Njena Reddd Foxxx »Ima Read« (Produzent: Lauren Castro, Regie: Ruben XYZ, Label: Mad Decent)

Im Frühjahr 2012 endete – nachdem der Piranha Verlag die beiden Chefredakteure Jan Kedves & Wibke Wetzker rausgeschmissen und die beiden übriggebliebenen Redakteure ihr Arbeitsverhältnis beendet hatten – meine Autorenschaft für das Popmagazin Spex.

Wenn es eine Zeitschrift gab, die für mich wichtig gewesen ist, dann diese. Ich habe das oft kluge, noch öfter arrogante und personell zuletzt chronisch instabile Blatt gelesen, geliebt und gehasst seit ich volljährig bin; später war es das erste überregionale Magazin, das meine Texte veröffentlichte.

In Ausgabe #338 (Mai/Juni), kurz vor der unerwarteten Zäsur, erschien mein letzter Text in Spex: Eine Anmerkung zu Ruben XYZs Musikvideo zum Track »Ima Read« von Zebra Katz ft. Njena Reddd Foxxx. Nicht nur wegen dieser biografischen Verortung ist »Ima Read« einer der Tracks, die ich aus dem Jahr 2012 mitnehmen werde.

Karg, düster & deep bricht »Ima Read« mit allen verfügbaren Popmusikklischees. Der Track und sein Video faszinieren mich auch deshalb, weil sie sich meinem Zugriff entziehen und auch nach dem xten Hören sperrig und schillernd bleiben. Bis heute bin ich nicht ganz sicher, was ich über »Ima Read« denke – und solche ästhetische und intellektuelle Verunsicherungen finde ich super. Manchmal, jedenfalls.

Außerdem steht »Ima Read« exemplarisch für meine Hörgewohnheiten des Jahres 2012, weil auch in den folgenden Monaten die interessanteste neue Musik für mich unorthodoxer HipHop war: »New York« oder »Werkin‘ Girls« von Angel Haze zum Beispiel, das Album »Freedom of Speech« von Speech Debelle, der mit einigen Jahren Verspätung entdeckte Brother Ali und (noch so eine ästhetische Verunsicherung) der geile Edeka-Wursttheken-Ra­p.

– J. war der erste, der sich 2012 ans Schreiben von Bestenlisten machte. Im Freundeskreis bat er um genau einen Song des Jahres – und seine Geschichte. Dies ist mein Beitrag.

The State of Pornography: Discussing (Post-) Porn with some of Germany’s leading minds in the field – now available in English

Akademische Mitteillungen 17 - incl. Post-Porn Roundtable

Photos: The cover of Akademische Mitteilungen #17 (above), opening spread of the Post-Porn Roundtable (below)

I’m thrilled to have work of mine included in The Obsession Issue of Akademische Mitteilungen (AM #17). A magazine published by designers at Staatliche Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart, AM #17 contains a partially updated English translation of the Post-Porn Roundtable fellow journalist/critic Anne Waak and I hosted for Spex in 2010. For this talk, we invited theorists and practitioners of porn – philosopher Svenja Flaßpöhler, theorist/activist Tim Stüttgen, and entrepreneur Jürgen Brüning – to discuss recent developments in the field.

In the 2000s, porn changed: While acclaimed directors such as Michael Winterbottom experimented with pornographic scenes in cinema (»9 Songs«, released in 2004), porn studios were appropriating themes of mainstream movies in their productions (e.g. Hustler’s »This Ain’t Avatar XXX«, relased in 2010). At the same time, the production, distribution and consumption of amateur porn was evolving dramatically thanks to declining prices of digital video equipment and video sharing sites such as YouPorn (launched in 2006).

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Kulturkampfbekämpfer. Über den Roman »Taqwacore« von Michael Muhammad Knight (und die Street Art von Princess Hijab & NiqaBitch)

Abb.: Beispiel für Princess Hijabs »Verschleierung« vom Werbeplakaten (Foto via yaplog)

»I am an Islamist, I am the Antichrist«, schreit ein verschwitzter, halbnackter Pakistani ins Mikrofon. Der Bassist neben ihm trägt Iro und die islamische Mondsichel auf dem T-Shirt. Und vor der Band, die ebenerdig mit ihrem Publikum spielt, schubst sich ein Burka tragendes Mannsweib den Weg in den Moshpit frei. Es ist der Sommer 2007 und der Schauplatz ein kleiner, dunkler Kellerclub in Chicago. Die Decke ist niedrig, die Anlage überfordert und der Sound beschissen, doch das Publikum hat Spaß. Etwas abseits der Pogotänzer steht eine Gruppe junger Muslimas, die mit ihren verschleierten Köpfen im Takt nicken. Die Band nennt sich The Kominas, das bedeutet »Bastard« oder »Mensch von niedriger Geburt« in der pakistanischen Nationalsprache Urdu. Und der Song, auf den alle abfeiern heißt »Sharia Law in the U.S.A.«.

Diese Szene ist in Omar Majeeds Dokumentarfilm »Taqwacore: The Birth of Punk Islam« zu sehen – und nein, die Band fordert darin nicht die Einführung der Scharia auf dem amerikanischen Kontinent. Der Song spielt auf »Anarchy in the U.K.« von den Sex Pistols an. Die störten 1977 die Feierlichkeiten zum silbernen Amtsjubiläum von Queen Elisabeth II., marschierten mit Hakenkreuz-Emblem durch London und verunsicherten die britische Gesellschaft auf eine Weise, die seitdem oft nacherzählt, bewundert und verklärt wurde, aber in ihrer Intensität niemals wiederholbar schien. 30 Jahre später zeigt sich nun: Das Provokationspotential des frühen Punk ist wiederholbar. Man muss nur seinen Zeichen und Reizwörter aktualisieren: Islamisierung des Westens statt Zerfall des britischen Empires, Burka statt Hakenkreuz, »Scharia« statt »Anarchie«.

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