Wozu Smartphones?

»Als ich mich neulich im Krankenhaus einer [… O]peration unterzog, war die diensthabende Empfangsdame, obwohl sie noch halb schlief — es war 5.30 Uhr morgens —, damit beschäftigt, auf ihrem Smartphone nach Turnschuhen zu shoppen. Genau das ist es ja, worum es beim Besitz dieses Geräts eigentlich geht: die unbegrenzte Möglichkeit, rund um die Uhr Dinge zu kaufen, unabhängig von den Umständen, in denen man sich befindet.«

So beginnt Dieter Roelstraete seine Kolumne Think Tank. Gedanken zur Gegenwart in der neuen Ausgabe der Zeitschrift Monopol (Dezember 2022).

Oder wie einst Meg Carter unter der Überschrift Billboards in your pockets im Guardian schrieb:

»Now that we have learnt to ignore adverts on television and websites, the next big test will be avoiding them on our mobile phones.«

Niemand kann behaupten, er sei nicht gewarnt worden: Carters Zeilen stammen aus dem Sommer 2001 — etwa sechs Jahre vor der Marktreife des ersten iPhones.

Immerhin: Roelstraetes Operation lief offenbar ohne Komplikationen. Doch ob die Empfangsdame jetzt schicke neue Sneaker trägt, werden wir wohl nie erfahren (außer auf ihrem Insta, vielleicht?).

Leute mit Handys (3)

„Könnte ich hier kurz mein Handy aufladen?“ ist das neue „Könnte ich hier kurz aufs Klo?“

Bald werden Cafés und Kneipen Zettel in ihre Eingangstüren hängen: „Strom nur für Kunden“, oder „Steckdosennutzung 50 Cent“.

Apps und Websites werden dann Listen „ladefreundlicher Einrichtungen“ veröffentlichen, mit Hilfe derer sich Bedürftige im öffentlichen Raum zurecht finden. Eine geniale Start-up-Idee, fast grenzenlos skalierbar.

Doch was hilft mir das jetzt, wo mein Akku schon tot ist?

Leute mit Handys

Noch vor wenigen Jahren hielten sich die Menschen ihre Mobiltelefone ausnahmslos ans Ohr, sie wollten hören. Heute halten sich viele die Handys vor den Mund, sie wollen gehört werden. Symptomatisch? Für was?

Es begründet auch niemand mehr seinen Handybesitz damit, er wolle erreichbar sein. Eher ist inzwischen Konsens, dass die ständige Erreichbarkeit einen Nachteil darstellt, den man aber gerne in Kauf nimmt. Für was?

Leute singen über Telefone

»Kein Netz, kein Netz, kein Teil dieser Welt«, singt Rola in ihrem gerade veröffentlichten Song Akku leer: »Was ist, wenn mich keiner mehr sucht, keiner mehr sucht, ey. Gehöre ich offline noch dazu?«

Das hat Tradition. Denn das Smartphone ist im Vokabular des Pop zur Chiffre für soziale Unsicherheiten und Selbstzweifel geworden. Für Einsamkeit und Kontaktverlust, oder zumindest die Angst davor.

Wunderbar zum Beispiel schon bei Mila (2006) von den Goldenen Zitronen: »Eine aufgeladene Prepaid-Karte macht noch keinen eingeladenen Freundeskreis«. Prepaid-Karten benutzen heute höchstens noch Dealer (apropos: Trap Phone!), aber das Bild funktioniert noch immer: Du hast ein Smartphone. Du hast eine Flat. Du hast Akku. Aber connected bist du deshalb nocht nicht.

Oder – ganz ähnlich wie bei Rola, nur noch elender – in Akku (2016) von Haiyti & KitschKrieg: »Immer ist der Akku leer, wie soll mich jemand finden?« Was bei der Frage immer mitklingt, ist das, was Rola in ihrem Song ausformuliert: Sucht mich überhaupt jemand? Kümmert überhaupt irgendwen meine Existenz?

Keiner der neuen Handy-Songs fängt das Verlorensein in der Gegenwart aber so treffend ein wie der beste von ihnen, Combination Pizza Hut and Taco Bell (2010) von Das Racist. Er zeigt: Mitten in der Konsumhölle hilft dir auch kein Handy mehr. Selbst wenn du weißt, dass Freunde auf dem Weg sind und dich suchen: Du bist verloren im Foodcourt-Fegefeuer.

P.S.: Ring, ring. Ah, hallo Jochen. Ja, sorry. Ich stell dich kurz auf laut ja? Also: Der Untertitel dieses Postings ist bei Blumfeld geklaut.