
Abb.: Grauer Himmel, fotografiert von Tiggywinkl (via flickr, CC BY-NC 2.0)
Hey! Endlich wieder Herbst. Jacken mit Kapuzen tragen, Blumfeld hören und vielleicht mal wieder ins Kino gehen, weil man nicht mehr den ganzen Tag grillen muss – das sind trotz des häufig grauen Himmels über Hamburg ganz gute Aussichten, finde ich. Apropos Kino:
»Warum gilt Sonnenschein im deutschen Kino eigentlich als unrealistisch?« Das fragt Christian Blumberg die Regisseurin Frauke Finsterwalder und ihren Ehemann, den Schriftsteller Christian Kracht, in seinem Interview in der neuen Ausgabe der Zeitschrift De:Bug. Es ist eine fiese Suggestivfrage, aber keine ganz uninteressante.
Anlass des Interviews ist Finsterworld, ein quirky Spielfilm, den Finsterwalder und Kracht zusammen geschrieben haben, und der dieser Tage in die Kinos kommt. Er wird als Kampfansage an die gedrückte Stimmung und bedeckten Himmel der Berliner Schule vermarktet, ein Faden, den Blumberg aufgreift, wenn er fortfährt: »Können Sie mir vielleicht erklären, warum in deutschen Filmen immer alles verregnet und blaustichig sein muss?«
Kann Finsterwalder nicht, sagt sie. Kracht rollt dann eine Theorie aus, die bemerkenswerterweise nicht bei Casper David Friedrich anfängt und auch nicht bei Rainer Werner Fassbinder, sondern erst in den frühen Nuller Jahren – und in (Latein-) Amerika:
Begonnen hat diese Farbverwirrung eigentlich mit den beiden Filmen „Traffic“ (Steven Soderbergh) und „City of God“ (Fernando Meirelles), das wurde dann weitergeführt in den Spielfilmen des Werbefilmers und Action-Spezialisten Tony Scott; darin war alles immer geschwefelt und entweder völlig willkürlich gelb eingefärbt oder blau. Das haben dann deutsche Regisseure zusammenhanglos auf Deutschland übertragen und heraus kam dieser furchtbare Blau-Graustich, der irgendwie nun schon seit Jahren als Maßstab für filmische Qualität gilt, was aber ziemlicher Unsinn ist, weil es absolut gar nichts mit irgendetwas zu tun hat.
Finsterwalder ergänzt dann noch, es gehe bei tristen Farben um die Vortäuschung von Tiefe und Melancholie.
Bämm! Das hat gesessen. Aber ist es auch plausibel? Zumindest ist es vermutlich noch nicht die ganze Wahrheit. Grau, eng, karg, kalt und melancholisch ist Deutschland im Film nicht erst seit dem Jahr 2000.
Und grau, eng, karg, kalt und melancholisch ist Deutschland nicht nur im Film, sondern oft auch in der (Kunst-) Fotografie. Darüber hat sich neulich auch Claudius Schulze Gedanken gemacht, der Fotografietheoretiker meines Vertrauens. Claudius gibt den Bechers die Schuld, bzw. deren Düsseldorfer Schülern, die das alles irgendwie falsch verstanden haben.
Im Vergleich zu den Filmen von zum Beispiel Ulrich Köhler, bei dem selbst Kamerun grau und matschig aussieht (wobei das ja wieder geil ist: Entexotisierung!) gleicht Deutschland in Finsterworld fast ein bisschen dem Land von Oz (»painted with a rainbow«).
Eine Kostprobe des saisonal (und womöglich auch filmgeschichtlich) unzeitgemäßen Farbspektrums von Frauke Finsterwalders Spielfilmdebüt gibt es hier. Filmstart ist am 17. Oktober 2013. Ich habe Finsterworld schon vor einigen Wochen sehen dürfen und würde sagen: Er hat mich gut unterhalten und noch ein bisschen besser verwirrt.
Nachtrag, 3. Oktober 2013: Hm, »verwirrt«, gutes Stichwort – Finsterworld als »quirky« zu bezeichnen, ist womöglich unbedacht. Es ist zumindest unzureichend. Die Ästhetik und auch viele der Charaktere des Films lassen sich schon so verschlagworten (Finsterwalder nennt dann auch den Quirkmaster par excellence, nämlich Wes Anderson, als positive Bezugsfigur), aber entscheidend in der weiteren Beschäftigung mit Finsterworld wird sein, damit umzugehen, dass am Ende dieses Films die Unschuldigen bestraft und die Arschlöcher belohnt werden. Hier also gerade nicht sanfter, naiver Optimismus die Richtung vorgibt …