Lesenswertes Essay von Hua Hsu in der aktuellen Ausgabe von The Atlantic: „The End of White America?“.
Die wesentliche These von Hsu ist im Grunde die folgende: FrĂŒher, ca. prĂ€-Rock’n’Roll, prĂ€-Civil-Rights-Movement, Hsu bezieht sich im wesentlichen auf die 1920er, gab es einen „weiĂen“ Mainstream in Amerika, in den sich Immigraten zu assimilieren bemĂŒhten.
[Was nicht immer leicht war, da unterschiedlichen Immigranten das „WeiĂsein“ zu unterschiedlichen Zeitpunkten zugesprochen wurde und manchen gar nicht, vgl. z.B. Jennifer 8. Lees Vortrag ĂŒber chinesische Immigranten, insb. den einfĂŒhrenden historischen Teil. Hinzukommt, klar, dass mit der Assimilierung auch das VerdrĂ€ngen eigener Erfahrungen und IdentitĂ€tsmarker einher ging.]
Heute, fĂ€hrt Hsu fort, ist der Mainstream multikulturalistisch geprĂ€gt. HipHop als dominante zeitgenössische Kultur zeuge davon, ebenso wie die Werbebranche, die dunkelhaarige Models und Schauspieler bevorzuge und nach Darstellern suche, die „[e]thnically ambiguous“ sind, also auch als Hispanics durchgehen könnten.
Kurz: UnabhĂ€ngig davon, dass weiĂ zu sein statistisch weiterhin bedeutet, politisch, ökonomisch und sozial privilegiert zu sein (und Rassismus gegenĂŒber Nicht-WeiĂen auch im Alltag noch real ist, wie mehrere afro-amerikanische Kommentatoren in Reaktion auf Hsu beteuern), sei WeiĂsein kein fĂŒr alle verbindliches, erreichbares oder unerreichbares, Ideal mehr.
WeiĂe Amerikaner wĂŒrden dadurch verunsichert, fĂ€hrt Hsu fort.
Das klingt in meiner Textreproduktion jetzt fĂŒrchterlich grobschlĂ€chtig, aber im Grund macht Hsu die folgende Unterscheidung: Besser gebildete, Urbane und im amerikanischen Sinne Liberale tendieren dazu, ihr WeiĂsein zum Beispiel akademisch zu problematisieren, bzw. als Konstruktion zu entlarven („Whiteness Studies“), sich nach einer „post-racial society“ zu sehnen, oder Afro-Amerikaner unverhohlen fĂŒr ihr Schwarzsein zu beneiden und sich selbst fĂŒr die eigene so empfundene „(Pop-) Kulturlosigkeit“ zu bedauern.
Wohingegen lĂ€ndliche „blue collar worker“ demnach eher dazu tendieren, einem nostalgischen Bild weiĂer, amerikanischer AuthentizitĂ€t nachzuhĂ€ngen. Im Grunde sei das „White Pride“, der aber aus offenkundigen GrĂŒnden nicht offen ausgelebt, sondern kulturell kanalisiert werde — in der Ablehnung von Intellektuellen, Liberalen, GroĂstĂ€dten und in der VerklĂ€rung amerikanischer Traditionen.
Barack Obama, könnte man an dieser Stelle ergĂ€nzen, ist ĂŒbrigens nicht nur Afro-Amerikaner, sondern Intellektueller (ehemaliger Leiter der Harvard Law Review), Liberaler (sagt mindestens die politische Fachzeitschrift National Journal) und GroĂstĂ€dter (Alec MacGillis nennt ihn den ersten „metropolitan candidate“).
Alles an Hsus Essay ist provokant, bis auf den Schlusssatz, der sich einer Prognose enzieht, indem er die Argumentation in eine fast obamaesque Rhetorik abblendet: „This moment was not the end of white America; it was not the end of anything. It was a bridge, and we crossed it.“
Jedenfalls: Der Erfolg von Mike Huckabee und Sarah Palin und die Wahlkampffloskel von „real America“ lĂ€sst sich vor dem Hintergrund von Hsus Thesen wohl etwas besser verstehen. Spannend ist jetzt, ob das attestierte kulturelle Unbehagen der „Retro-WeiĂen“ (Meghan Daum nennt sie auch die „Off-Whites“, also sinngemĂ€Ă ĂŒbersetzt die „Beigen“, weil sie aus dem typisch weiĂ-priveligierten Status ausgeschlossen seien) in Zukunft in politischen Kalkulationen noch eine Rolle spielen wird. Hsu schreibt ĂŒber den kulturellen Bedeutungsverlust, er und Daum verweisen auf das demografische Schicksal dieser Bevölkerungsgruppe, hinzu kommt der allerorten diskutierte relative Machtverlust der USA in der Weltpolitik und die Wirtschaftskrise. Klingt nach einem potenten Cocktail. Aber: können die „Off-Whites“ rein rechnerisch noch eine Rolle spielen? Zumal wenn das Werben um diese WĂ€hler so heftig polarisiert, wie es zuletzt Sarah Palin getan hat?
In seiner Amtsantrittsrede bezog sich Barack Obama ausdrĂŒcklich auf die amerikanischen GrĂŒndervĂ€ter und betonte auch wĂ€hrend seines Wahlkampfes schon immer wieder das amerikanische Ideal, dass Amerikaner zu sein nichts mit Blut oder Hautfarbe oder Herkunft zu tun habe, sondern mit Werten und einer bestimmten MentalitĂ€t.
Der „rugged individualism“ gilt fĂŒr den illegalen Einwanderer aus Lateinamerika Ă€hnlich wie einst fĂŒr den Iren, der vor der Hungersnot flĂŒchtete. Der „self-made man“ ist auch der Mythos des HipHop. Das Amerikanersein, auch im klassischen Sinne, funktioniert also vielleicht auch ohne einen „weiĂen“ Mainstream just fine.
Womöglich bedeutet es gar nichts, aber die Republikaner haben (einige Wochen nach Veröffentlichung von Hsus Text) gerade mit MĂŒhe und Not (im sechsten Wahlgang) mit Michael Steele einen Afro-Amerikaner in den Vorsitz ihres Steuerungskommittees gewĂ€hlt.