Schule im Containerbau

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Wer mit offenen Augen durch Hamburg läuft, kennt die Container, die längst nicht mehr nur im Hafen stehen, sondern auch auf den Schulhöfen der Stadt. Dort dienen sie als Klassenräume für Kinder, die in den Gebäuden keinen Platz mehr finden. Denn Hamburg wächst, und der Schulbau kommt nicht hinterher.

Öffentliche Bauvorhaben brauchen Zeit und oft sogar mehr Zeit als geplant. Das ist in der HafenCity zu sehen, wo die Schülerinnen und Schüler des neuen Gymnasiums, der Grund- und Stadtteilschule derzeit in einem »temporären Schuldorf« untergebracht sind. Genauer: in Containern. Erst in vier Jahren soll der eigene Neubau bezugsfertig sein. (Foto links)

Oder in Altona, wo anderthalb Jahre nach dem symbolischen ersten Spatenstich durch den Bürgermeister der Bau des Deutsch-Französischen Gymnasiums an der Königstraße immer noch nicht richtig angefangen hat. (Foto rechts)

Wie Finanz- und Schulbehörde das Problem lösen wollen (Spoiler: Es hat ebenfalls was mit Containern zu tun, aber auf ganz andere Weise), das habe ich hier für DIE ZEIT aufgeschrieben.

Bodentiefe Fenster: Die Geschichte einer Metapher

Vor einigen Jahren erzählte Anke Stelling in ihrem Roman Bodentiefen Fenster (2015) vom Leben einer jungen Familie in Prenzlauer Berg – nein, eigentlich ging es nur um eine junge Mutter und ihre Kinder (der Vater war trotz des emanzipierten Selbstverständnisses der Familie im Roman seltsam abwesend, vielleicht keine untypische Erfahrung).

Diese Frau, die Ich-Erzählerin Sandra, wird zerrieben zwischen den Ansprüchen, die sie an sich selbst stellt, und jenen Ansprüchen, von denen sie meint, andere würden sie an sie stellen. Sie führt fraglos ein privilegiertes Leben, aber glücklich ist sie nicht. Stattdessen befindet sie sich in einer permanenten Mikropanik.

Eine exemplarische Szene:

Am Montagmorgen sind wir zu spät dran. Bo muss vor halb zehn in der Kita sein, zum Morgenkreis; die Erzieherinnen legen Wert darauf, den Tag gemeinsam zu beginnen. Die Erzieherinnen sind überzeugt, dass jemand, der sein Kind erst nach neun bringt, ohnehin nicht ernsthaft arbeitet, sondern nur zu faul sei, es zu Hause zu betreuen. Oder ich denke, dass sie das denken. Weil ich es selbst denke. Bo will Gummistiefel anziehen, obwohl draußen schon fünfundzwanzig Grad sind und keine Wolke zu sehen ist. Mir könnte das egal sein, aber mir graut vor den Blicken der Erzieherinnen. Ich will nicht, dass sie denken, ich sei so eine, die sich nicht gegen ihren Dreijährigen behaupten kann, eine, die alles mit ihm diskutiert und ihn am Ende selbst entscheiden lässt, was er anzieht, aus Angst, dass er sonst schreit oder tritt oder in seiner freien Entfaltung behindert wird. Ich weiß gar nicht, ob die Erzieherinnen das denken, aber ich weiß, dass ich das denke und solche Angstmütter nicht mehr ertragen kann; sie umzingeln mich und machen mich wahnsinnig.

(Die hier gefetteten Wörter sind im Originaltext kursiv hervorgehoben.)

Die für den Roman titelgebenden »bodentiefen Fenster« markieren nicht nur das Milieu, um das es hier geht (Eigentumswohnung, Baugemeinschaft, Szene-Kiez, Geld ist im Spiel, aber man lebt betont unspießig).

Sie sind auch eine Metapher für den Bewusstseinszustand der Protagonistin. Sie lebt wie in einem Panoptikum.

Weiterlesen „Bodentiefe Fenster: Die Geschichte einer Metapher“

Schöner leben ohne Tageslicht

In den USA verteilt ein alternder Multimillionär größere Geldgeschenke an staatliche Hochschulen, unter der Auflage, dass sie damit Wohnheime für Studierende bauen, deren Zimmer keine Fenster haben.

What? Der New Yorker berichtet. (Offen bleibt die Frage, ob damit nicht der Hamburger Wiwi-Bunker mit seinen fensterlosen Seminarräumen zur architektonischen Avantgarde aufgewertet wird … )

Tschüß, liebe Cremonbrücke

Cremonbruecke-Abriss

Am Wochenende wurde die Cremonbrücke in der Hamburger Innenstadt abgerissen. Früher machte sie mir gute Laune auf dem Weg zur Arbeit: Die Fußgängerbrücke mit den (meist defekten) Rolltreppen. Allein diese Idee! Jetzt rolle ich auf meinem Fahrrad mit einer gewissen Wehmut an den Überresten der Brücke vorbei. Und bald wird es sein, als wäre sie nie dagewesen.

Zugegeben: Die Cremonbrücke war nicht besonders schön. Selbst der Hamburger Denkmalverein, einer ihrer wenigen öffentlichen Fürsprecher, bezeichnete sie auf seiner Website als eine nur »halbwegs attraktive Möglichkeit«, um als Fußgänger die Willy-Brandt-Straße zu überqueren. Damit fügte sich die Brücke allerdings gut in ihre Umgebung, die mit »halbwegs attraktiv« sehr diplomatisch beschrieben ist.

Vielleicht ist Schönheit bei historischen Bauwerken ohnehin ein nachrangiges Kriterium. Wir wollen wohl alle in einer schönen Stadt wohnen, ach was, in der schönsten Stadt der Welt, aber Schönheit ist flüchtig, nicht nur bei Menschen. Was heute als Spitzenleistung von Architektur und Ingenieurskunst gilt, empfindet man oft schon 50 Jahre später als abbruchreife Bausünde.

Die Essohäuser an der Reeperbahn sind ein Beispiel dafür. Das Frappant-Gebäude in Altona. Oder der Alte Mariendom. (Okay, der Mariendom hat länger gehalten als 50 Jahre. Abgerissen wurde er trotzdem.)

Jedes hässliche alte Gebäude, das erhalten wird, ist deshalb ein Memento Mori, eine Übung in Demut. Nach dem Motto: »Mensch, du magst dich für den Höhepunkt der Evolutionsgeschichte halten und deine Taten für die größten jemals vollbrachten. Doch bedenke: Schon deine Kinder werden über dich lachen.«

(Textrecycling aus meinem vorgezogenen Nachruf auf die Cremonbrücke, erschienen am 16. Juli 2021 in der Elbvertiefung, dem Newsletter der ZEIT:Hamburg.)

Der Wolfsburger Effekt:

Der Architekt Ernst Hubeli über die Reproduzierbarkeit des Bilbao-Effekts (also das Vorhaben, mit spektakulären Neubauten eine bis dahin wenig besuchte Stadt als neues Reise- und Investitionsziel zu etablieren):

[E]s gibt nun den Wolfsburger Effekt: Die Stadt hat ihr Vermögen in Architektursensationen investiert, und niemand hat es gemerkt.

Aus: Ernst Hubeli im Gespräch mit Jacques Herzog: »Stadt und Architektur – eine spezifische, unberechenbare Affäre«, Architektur in Hamburg – Jahrbuch 2016/2017, Hamburg: Junius-Verlag, 2016. Seite 28.

»Kein Herz für St. Pauli«: Ein neues Online-Magazin schildert den Streit um die Esso-Häuser am Spielbudenplatz

Abb.: Früher modern, heute »Schandfleck«: Skizze der Essohäuser auf St. Pauli
© Günter Zint (panfoto.de/kiezmuseum.de), mit freundlicher Genehmigung

Die Esso-Tankstelle an der Reeperbahn ist ein Erkennungszeichen St. Paulis. Wenn Kamerateams den Kiez einfangen wollen, dann richten sich ihre Objektive wohl ähnlich oft auf die Zapfsäulen am Spielbudenplatz wie auf die Leuchtreklamen über der Große Freiheit. Die Tanke ist mehr als eine Tanke: ein Getränkemarkt für die Partytouristen und ein Tante-Emma-Laden mit Klatsch und Tratsch für die Anwohner (sagt Liselotte Strehlow, die seit vielen Jahren in der Nachbarschaft wohnt). Trotzdem wird es sie bald nicht mehr geben. Genau wie die beiden Gebäudekomplexe zu denen sie gehört, die sogenannten Esso-Häuser (siehe Bauskizze).

Im Mai 2009 wurden die sanierungsbedürftigen Esso-Häuser von der Immobilienfirma Bayerische Hausbau gekauft. Die will die Gebäude jetzt abreißen und durch einen Neubau ersetzen. Der Investor kann das mit den baulichen Mängeln der Häuser ganz gut begründen. Dennoch bleibt ein Unbehagen – immerhin wurde genauso mit dem Gelände der alten Astra-Brauerei verfahren und an ihrer Stelle ein architektonischer Fremdkörper errichtet, der wie ein Viertel im Viertel neben der Reeperbahn sitzt und unter anderem das Empire Riverside Hotel beherbergt (Namensgeber der stadtentwicklungskritischen Doku »Empire St. Pauli«, die in Gänze online zu sehen ist).

Oder mit der Reeperbahn 1, wo seit kurzem die sogenannten Tanzenden Türme zu sehen sind, bei denen ich schwer vorstellbar finde, dass sie in spätestens fünfzig Jahren nicht auch als abrisswürdige Bausünde gelten. Die Esso-Häuser wurden in den 1960er Jahren schließlich auch als zukunftsträchtig empfunden (und entsprechend von der Lokalpresse gefeiert, während die Bildzeitung heute von einem »Schandfleck« schreibt). Und ernsthaft: Tanzende Türme? Ein Bürokomplex mit Knick, als Homage an das »schräge« St. Pauli? Ürx.

Vor allem geht es aber um die Mieter: Werden die Bewohner der Esso-Häuser der Aufwertung St. Paulis (= Mietsteigerung = sozialen Verdrängung) zum Opfer fallen? Der Investor verspricht, dass die Bruttomieten gleich bleiben und sogar neuer sozialer Wohnungbau in dem größeren Neubau an Stelle der Esso-Häuser entsteht. Dennoch währt der Streit um die Zukunft des Gebäudes schon mehr als drei Jahre.

Eine gute Einführung in diesen Streit bietet das Online-Magazin »Kein Herz für St. Pauli«, das Volontäre der Akademie für Publizistik am vergangenen Donnerstag veröffentlicht haben. In multimedialen Beiträgen kommen Bewohner und Mieter (eins, zwei, drei), der Investor, ein externer Gutachter und der Vorsitzende des Grundeigentümerverbandes zu Wort. In wenigen Tagen haben die Volontäre das Magazin zusammengestellt. Sein experimenteller Charakter ist an manchen Stellen zu sehen – trotzdem ist das exzellenter Lokaljournalismus. Und davon gibt es auch in Hamburg noch nicht genug.