1751 veröffentlichte der englische Maler William Hogarth seinen Druck „Beer Street and Gin Lane“, der vor den Gefahren des neumodischen Gintrinkens warnte. (Die Bildausschnitte in diesem Blog-Eintrag habe ich von Wikipedia gemopst.)
Damit kein Zweifel daran aufkam, wie schädlich das Gintrinken für das Gemeinwohl ist, fügte Hogarth seinem Druck ein drastisches Detail hinzu: Eine Mutter, der beim Stillen das Baby aus den Armen flutscht und in einen Abgrund stürzt. In ihrem Gin-Suff merkt die Frau das noch nicht mal.
Mit seinem nicht unbedingt subtilen Werk hatte Hogarth Erfolg: Im selben Jahr, in dem sein Druck erschien, verabschiedete das britische Parlament den „Gin Act“, der durch hohe Abgaben den Gin unattraktiver machen sollte. SchlieĂźlich waren es vor allem Arme und Arbeiter, die sich des ungeziemten Ginkonsums verdächtig machten. Die sollten halt mehr Tee trinken! Oder, wie William Hogarth in seinem Druck vorschlug: mehr Bier.
(Inzwischen wissen wir: Bier ist keine optimale Alternative in der Schwangerschaft und Stillzeit.)
Was ist das denn? Ein Einblick in die neue Ausgabe von Zeit Campus (Ausgabe 2/2013, März/April), an der meine werten Kollegen und ich die letzten zwei Monate gearbeitet haben. Ist ganz gut geworden, glaube ich.
Warum ist das so scheiĂźe fotografiert? Weil ich das Heft mit dem iPad geknippst habe. Denn unser Magazin gibt es nicht nur ab heute im Kiosk, sondern neuerdings auch im App-Store. Hallo unscharfe Zukunft!
Äh, und was steht drin? In der Titelgeschichte geht es um unfaire Noten. Im Mensagespräch um den Penis von Lars Eidinger. Außerdem stellen wir Leute vor, die keinen Bock haben, ihr ganzes Leben an die Arbeit zu verschwenden (oben), überprüfen den Kinofilm Spring Breakers auf seinen dokumentarischen Gehalt (unten) und fragen nach, wie es ist, bei Fatih Akin Film und bei Josef Ackermann Finanzwirtschaft zu studieren (ganz unten).
Meine Freundin sagt, ihr seid Hipster. Stimmt das? Eher nein. Ich kann jetzt natĂĽrlich nicht fĂĽr alle aus der Redaktion sprechen, aber ich neige zu einem empathischen Hipsterbegriff, der an Thomas Meinecke geschult ist. Und dem werden wir wohl nicht gerecht. Aber unser Coverfoto ist von den Synchrodogs. Immerhin!
Blablabla! Das Heft kostet übrigens 2,80 Euro. Also weniger als ein halber Liter warme Milch mit Kaffee im Pappbecher. Abo geht auch. Am besten, Sie zögern nicht lange und unterschreiben gleich hier.
Demnach gebe es etwa in England und Deutschland »ambivalente Trinkkulturen«, die mit Alkoholkonsum die Erwartung gesteigerter Aggressivität, Promiskuität und asozialem Verhalten verbinden – während es diese Erwartungshaltung in anderen Ländern nicht gebe und sich Menschen dort auch besoffen noch ordentlicher benähmen als Engländer oder Deutsche:
Die britische und andere ambivalente Trinkkulturen gehen davon aus, dass Alkohol enthemmt und er Appetit auf Sex oder aggressiv macht, so dass die Probanden in Experimenten nach Alkoholgenuss – und sogar nach alkoholfreien Placebos – dazu ĂĽbergehen, ihrer Hemmungslosigkeit freien Lauf zu lassen. […] Unsere Meinungen hinsichtlich der Wirkungen des Alkohols sind sich selbst erfĂĽllende Prophezeiungen. Wenn man fest davon ĂĽberzeugt ist und erwartet, dass man vom Alkohol aggressiv wird, dann wird man es auch. Ja man kann selbst nach dem Konsum von alkoholfreien Placebos stockbetrunken werden.
Leider fehlen die Verweise auf die Quellen, auf die Kate Fox sich stützt – auch im englischsprachigen Vortrag, der die Grundlage des deutschen Essays bildete.
Die Pointe wäre gleichwohl faszinierend: Gut gemeinte und steuerfinanzierte Anti-Alkohol-Kampagnen (wie zum Beispiel »Alkohol – Kenn Dein Limit«, die zumindest in Hamburg sämtliche Plakatwände in Beschlag nimmt, die H&M&Lana del Rey freigelassen haben) wären demnach kontraproduktiv.
Denn statt abzuschrecken, in dem sie alkoholbedingtes Fehlverhalten benennen, argumentiert Kate Fox, stärken sie den Mythos, dieses Fehlverhalten sei alkoholbedingt.
Damit wirken sie womöglich einladend: Wer mal richtig die Sau rauslassen will, findet im Alkohol eine gesellschaftlich akzeptierte Entschuldigung dafür. Wenn Kate Fox Recht hat, dann mindern solche Kampagnen das Problem nicht, sondern verschärfen es.
Es gibt Ideen, die kann man gar nicht oft genug feiern. Zum Beispiel Derek Waters Videoserie »Drunk History«, in der Betrunkene ihre Lieblingsanekdoten aus der amerikanischen Geschichte erzählen und Schauspieler die erzählten Szenen parallel nachstellen.
Ein Mensch namens Eric Falconer erklärt nach acht Wodka-Cranberry, warum Benjamin Franklins Sohn ein Arsch war. Mark Gagliardi erzählt nach einer Flasche Scotch, wie Alexander Hamilton im 18. Jahrhundert per Handy seine Familie anrief. Und Jen Kirkman (s. Video oben) offenbart nach anderthalb Flaschen Wein, dass der Wortschatz von George Washingtons Ehefrau erstaunlich deckungsgleich war mit dem einer, na ja, betrunkenen 30-something im 21. Jahrhundert.
Da könnte man jetzt ins Nachdenken kommen: Inwieweit bestimmen die Persönlichkeiten (und die persönlichen Grenzen) von Historikern unsere Wahrnehmung der Vergangenheit? Wie belastbar sind vermeintlich historische Fakten? Wie stark wird »Geschichte« durch den Prozess der »Geschichtsschreibung« erzeugt und/oder verzerrt?