Attacking (and adoring) the classics

»There has been a good deal of debate in recent years about the Greek and Roman classics and their claim to universality […] even when scholarship has long made it clear that the civilizations that produced them were founded on values and institutions a number of which we find repellent — patriarchy, misogyny, economies based on the labor of enslaved people. […] The fact is that such crises have always been good for the field.«

Taken from Daniel Mendelsohn’s review of Stephanie McCarter’s new translation of Ovid’s Metamorphoses. More of that here.

Peter Schjeldahl (1942–2022)

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Neulich saß ich abends noch länger wach und blätterte in Hot, Cold, Heavy, Light, einer Sammlung von Texten des amerikanischen Kunstkritikers Peter Schjeldahl.

Schjeldahl arbeitete zuletzt für den New Yorker und sein Artikel The Art of Dying im Dezember 2019 war der erste, den ich bewusst von ihm las. Er schrieb ihn in der Gewissheit seines baldigen Todes. Der Text hat mich umgehauen.

Schjeldahl hat dann noch fast drei Jahre durchgehalten und bis zuletzt gearbeitet. Er starb im Oktober, im Alter von 80 Jahren. Eine der letzten Ausstellungen, die er besprochen hat, war die Wolfgang-Tillmans-Retrospektive, die immer noch im Museum of Modern Art läuft.

Schjeldahls Sprache ist weniger spröde und verrätselt als die vieler akademischer Kunstkritiker*innen (sein Anspruch ans Schreiben: »as little forbidding and boring as possible«), aber ich kann nicht behaupten, dass ich ihm immer folgen kann. Etliche der Künstler*innen, denen er sich in diesem Buch widmet, sind mir zudem völlig unbekannt (bezeichnend, dass es vor allem Frauen sind: Ree Morton, Elizabeth Murray, Jane Dickson, Laura Owens, … ).

Aber wo Bildungslücken so offensichtlich sind, besteht die Chance, noch was zu lernen.

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»Kulturpolitik als Sicherheitspolitik«: Ein oder zwei Einwände

Claudia Roth, die neue Staatsministerin für Kunst und Kultur, ist offenbar die erste Amtsinhaberin, die heute an der Münchner Sicherheitskonferenz teilnimmt und dort mit dissidentischen Künstler*innen aus Belarus spricht.

»Kulturpolitik ist Demokratiepolitik, Kulturpolitik ist Sicherheitspolitik«, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur.

Die Süddeutsche kommentiert Roths Kultur- und Amtsverständnis so:

Ihre Vorgängerin Monika Grütters, obwohl berühmt für Übergriffigkeit und Expansionswillen, vermied es stets, anderen Ressorts in die Quere zu kommen. Ohnehin verstand Grütters die Kultur als ein Reservat des Schönen, das von der Politik so weit wie möglich abzuschirmen ist, statt mit ihr verschaltet zu werden. Für Roth hingegen […] ist Kunst immer schon politisch.

Okay, aber was soll das heißen, was folgt daraus? Roth dazu heute im Radiosender RBB Kultur:

Wir sind in so ’nem weltweiten Battle zwischen autoritären, autokratischen Regimen vs. der Demokratie. Ich glaube, Kulturpolitik ist Demokratiepolitik, denn die Freiheit der Kunst, der Kultur, der Meinungsfreiheit, die Freiheit der Journalistinnen und Journalisten ist immer der Lackmustest für die Demokratie. Deshalb gehört zu einer Sicherheitspolitik auch die Frage: Wie sieht’s aus mit der Kunst und Kultur?

Dem wird wohl niemand, der der liberalen Demokratie anhängt, widersprechen. Interessant wird Roths zweite Frage in diesem Zusammenhang:

Welche Räume kann Kunst und Kultur schaffen, wo politische und diplomatische Räume schon lang verschlossen sind?

Die Antwort auf diese Frage ist heikel. Auch wenn die Frage an sich keinen neuen Gedanken ausdrückt. Zum Stichwort der »kulturellen Räume« oder der »vorpolitischen Räum« betonen etwa die Leute vom Goethe-Institut schon lange, sie trügen nicht die deutsche Kultur in die Welt (à la mission civilisatrice), sondern schüfen Räume der Begegnung, des Austauschs und freien Denkens und Redens. Zentrales Stichwort dabei stets: »Augenhöhe«.

Diesen Gedanken machten sich auch schon Außenminister wie Gabriel oder Steinmeier zu eigen. Üblicherweise wird dabei an repressive Ländern wie Iran, Afghanistan oder auch die Türkei gedacht, neuerdings auch an die USA.

Dazu noch mal die Süddeutsche, an anderer Stelle:

Schwer zu sagen, ob die Bundesregierung das Thomas-Mann-Haus im kalifornischen Pacific Palisades auch ohne den Siegeszug Donald Trumps gekauft hätte. Inzwischen weiß man aber: Der Ausbau des Anwesens zum Ort transatlantischen Dialogs darf nur der Anfang sein. Dass die Infrastruktur auswärtiger Kulturpolitik in Amerika nach der Jahrtausendwende abgebaut wurde, weil das transatlantische Verhältnis als stabil oder weniger wichtig galt, [war riskant].

Abgebaut haben zuerst die Amerikaner, nämlich die von ihnen über Jahrzehnte unterhaltenen Amerikahäuser und anderen kulturellen Einrichtungen in Westdeutschland, die die BRD gegen die Verlockungen des Sowjetkommunismus imprägnieren sollten. Dieser Zweck der Außenkulturpolitik hatte sich nach 1991 erschöpft.

Allerdings offenbart das auch das Problem jener, die die Kultur nicht nur als Lackmustest der Freiheit verstehen, sondern sie auch als, naja, Avantgarde politischer Freiheit fördern wollen.

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Tanz den General Patton

Es gibt x-tausend Bücher über Krautrock, Punk in Düsseldorf und Hamburg oder die Anfänge der Techno-Bewegung in Berlin (darunter einige sehr gute).

Aber eine der vielleicht interessantesten Phasen (west-) deutscher Popmusikproduktion ist meines Wissens intellektuell und historisch noch weitgehend unbearbeitet: der Schlager der mittleren 1950er- bis mittleren 1960er-Jahre.

Es geht hier um populäre Musik vor der Durchsetzung der Popmusik im heutigen (engeren) Sinne. Und: um die komplizierte Gemengelage aus einer im  Wirtschaftswunder neu aufblühenden Kulturindustrie, der Erfindung der Jugend, der Verdrängung von Kriegsschuld und Shoa, der Gründung eines neuen, demokratischen Staates sowie um die sogenannte Amerikanisierung, die vielleicht tatsächlich eine Art mentale Entnazifizierung zumindest der jungen Deutschen war? (Diese Idee bitte nachlesen bei Frank Apunkt Schneider.)

Allein, man müsste wohl mehr von tiefenpsychologischen Effekten der Massenkultur verstehen, um das Zeug sinnvoll deuten zu können. Dieser Song zum Beispiel: Mr. Patton aus Manhattan (erschienen 1957), die Eindeutschung von Bill Haleys See you later, alligator, mit einem Gaga-Text. Eine ganz platte, hedonistisch hohle Nummer.

Bis einem einfällt, dass General Patton 1944 die US-Armee gegen die deutschen Linien vorantrieb. Unter seinem Kommando wurde das KZ Buchenwald befreit, es soll seine Idee gewesen sein, deutsche Bürger durchs KZ zu führen, auf dass sie gezwungen sind, endlich hinzusehen.

Und das Manhattan Project entwickelte die Atombombe, die den amerikanischen Sieg im Zweiten Weltkrieg besiegelte.

Dass zehn Jahre später die Kinder der Nazis durch Tanzschuppen wirbelten, zu amerikanischer Musik und dem Text „Patton! … Manhattan! … Patton! … Manhattan!“, das ist doch bemerkenswert.

Diese Bezüge herzustellen, könnte natürlich eine brutale Überinterpretation sein. Aber es würde sich vielleicht lohnen, das mal weiter zu durchdenken und dem nachzugehen. Hey, Ihr da draußen: Wer schreibt das erste interessante Buch über den (west-) deutschen Nachkriegsschlager?

»Super Mario Bros«: Pixel? Perlen!

mde

Das Kind und ich sind in Quarantäne. Was kann man da machen? »Bügelperlen!«, sagte das Kind. Diese Idee erwies sich als tragfähig.

Jedenfalls haben wir in den vergangenen Tagen doch recht glückliche Stunden damit verbracht, drinnen zu hocken und bunte Plastikteilchen auf die Nupsis des Steckbretts zu fummeln.

Ich selbst hatte früher nie Bügelperlen, aber grob gerasterte Bilder spielten auch in meiner Jugend eine Rolle, also haben wir angefangen, meine Kindheitshelden zu stecken und zu bügeln.

Dann haben wir noch Super Mario Bros. mit Emulator auf dem Laptop gespielt und uns Speedruns auf YouTube angeschaut. Keine Ahnung, ob das pädagogisch wertvoll ist, aber wir kriegen die Zeit gut rum. ✌️

dav

P.S.: Falls hier Super Mario-Geeks mitlesen – schon klar, dass der Pilz und die Kröte eher nach Super Mario World aussehen als nach Super Mario Bros. Aber dafür ist der Mario super authentisch im NES-Style!

»Wir müssen bei der Digitalisierung viel, viel besser werden«

Politiker*innen reden nie Klartext? Wer das glaubt, kennt den Hamburger Schulsenator Ties Rabe nicht — und das Interview, das er meiner Kollegin Nike Heinen und mir gegeben hat.

Wir sprachen über den Umgang mit dem Dilemma, einerseits Infektionen zu vermeiden, andererseits aber eine ganze Generation von jungen Hamburger*innen nicht um ihr Recht auf Bildung bringen zu wollen.

Und über den Reformstau bei der Digitalisierung der Schulen, der in den vergangenen Monaten etliche Eltern auf die Palme brachte — und der sich ändern soll. Korrektur: muss.

Hier das ganze Interview (für Abonnent*innen der ZEIT).

Darf man heute noch Kinder wollen?

Wenn es um Klimaschutz geht, dann ist Fleischessen schlim, fliegen ist noch schlimmer, aber am schlimmsten ist es, eine Familie zu gründen. Das habe ich im vergangenen Jahr immer wieder gehört: In Talkshows und Zeitschriften meldeten sich Frauen zu Wort, die den Verzicht auf eigene Kinder als größtmöglichen Beitrag zum Klimaschutz bezeichnen.

Ich bin Vater von zwei Kindern und deshalb völlig befangen, aber ich halte diese Behauptung für moralisch fragwürdig und taktisch unklug – um es mal diplomatisch zu formulieren.

Wenn wir ernsthaft anfangen, Menschenleben mit Konsumentscheidungen zu verrechnen, nützt das nur kinderlosen SUV-Fahrern, die dreimal im Jahr nach Madeira jetten (»Alles halb so schlimm, ich hab’ keine Blagen in die Welt gesetzt!«). Die Keine-Kinder-aus-Klimagründen-Fraktion sabotiert ihr Anliegen, indem sie ihre Gegner*innen stärker macht.

Und, indem sie potentielle Verbündete verprellt. Denn wäre es nicht klüger, davon auszugehen, Kinder seien beste Klimapädagogik?

Weiterlesen drüben bei Piqd.