Im Dezember 1967 lief am östlichen Ende der Nordsee-Insel Norderney ein Heringslogger auf, ein Schiff, mit dem damals Hochseefischerei betrieben wurde. FĂŒr die Bergung wurde historischen Schilderungen zufolge eine Belohnung ausgelobt und so beschloss der KapitĂ€n eines Muschelbaggers, den Logger freizuschaufeln. Er lief dabei selbst auf. (Ironie #1.)
WĂ€hrend der Heringslogger bei einem spĂ€teren Hochwasser befreit werden konnte, steckt das verhinderte Rettungsschiff bis heute fest. Inselkarten verzeichnen es, TouristenfĂŒhrer empfehlen es: DAS WRACK. Aus dem verunglĂŒckten Schiff wurde eine der wichtigsten SehenswĂŒrdigkeiten Norderneys. (Ironie #2.)
Happy End? Nee. Denn lĂ€ngst geht das Schiff ein zweites Mal unter, diesmal nicht im Wasser, sondern im Sand. Auf Fotos aus den frĂŒhen 1990er-Jahren ragt es noch meterhoch aus dem Inselboden, inzwischen ist deutlich weniger davon zu sehen und wenn es so weitergeht, ist es in noch mal 30 Jahren wohl ganz begraben. (Ironie #3.)
Es wĂŒrde wohl keine/r leugnen, dass sich eine Wanderung zum Wrack lohnt. Aber nicht unbedingt wegen des Wracks, sondern wegen der Wege dorthin, die durch die Landschaften der unbebauten OsthĂ€lfte der Insel fĂŒhren. Und tatsĂ€chlich: Der gestrige Hinweg, sechs Kilometer auf unbefestigten Wegen durch die DĂŒnen, war schön.
Der RĂŒckweg aber, sieben Kilometer ĂŒber den scheinbar endlosen Strand, wo uns der feine Sand um die Knöchel floss und kaum ein Mensch zu sehen war, nichts als Wind und Meer und Sand und Weite, war erhaben. (Ein dritter Weg, die SĂŒdroute durch die Salzwiesen, ist wegen der Brutzeit gerade gesperrt.)
»UnberĂŒhrte Natur«, schwĂ€rmen einige Online-Rezensionen. Was selbstverstĂ€ndlich Quatsch ist. Allein schon wegen der Wegmarken und FuĂspuren sind diese Landschaften nicht unberĂŒhrt. Aber â wĂ€ren sie unberĂŒhrt, wĂ€ren wir und viele andere InselgĂ€ste wohl gar nicht auf die Idee gekommen, hierher zu kommen. Sie mussten schon einen alten Rosthaufen in die »unberĂŒhrte Natur« stecken, um sie fĂŒr uns ĂŒberhaupt sichtbar zu machen. (Ironie #4 und Schluss.)