Wer darf welche Geschichte erzählen?

Nefeli Kavouras und Anselm Neft sprechen in der neuen Folge ihres Literaturkritik-Podcasts laxbrunch über Marlen Hobracks Schrödingers Grrrl, das kürzlich im Verbrecher Verlag in Berlin erschienen ist.

Hobracks Roman erzählt von einer jungen, antriebslosen Frau aus Dresden, die von einem Berliner Literaturagenten ausgewählt wird, den Roman eines älteren, westdeutschen Schriftstellers über eine junge, ostdeutsche Hartz-IV-Empfängerin als dessen vermeintliche Autorin zu vertreten und den Inhalt und Stil des Romans auf diese Weise zu beglaubigen.

Wer darf welche Geschichte erzählen? Das ist ja eine der in den vergangenen Jahren immer wieder gestellten Fragen in Literatur und Kunst. Hier nun also verhandelt in Form eines Hochstapler- / Schelmenromans

Neft:

Früher hätte man gesagt: Frauen müssen sich ein männliches Pseudonym zulegen, damit sie überhaupt eine Chance haben, veröffentlicht zu werden. Und jetzt sind wir an dem Punkt, wo Männer vielleicht eine junge Frau brauchen mit ostdeutschem oder mit Migrationshintergrund, um »frische Stimmen«, wie man das dann vielleicht nennen würde, in den Verlagsvorschauen abbilden zu können. Man will da nicht wieder so einen grauhaarigen Brillenträger sehen, sondern möchte die Person, die das Buch mitverkauft, neu und interessant finden: Oh, das hatten wir noch nicht! Ich glaube auch, dass die Kritik hier ist: Der Literaturbetrieb ist nicht wirklich an Diversität und anderen Menschen interessiert, sondern er möchte sich ein gutes Gewissen verschaffen, dass es zwar in einer rein bürgerlichen Blase stattfindet, aber man sagen kann: »Hey, wir haben schon manchmal auch ein Unterschichtsgirl!«

Wobei der Unterschied ist, dass eine Frau, die in einer patriarchalen Gesellschaft ihren Roman unter Pseudonym veröffentlicht, trotzdem womöglich eine Perspektive, eine Tonalität, eine Literatur in den Diskurs einspeist, die da sonst fehlt — während der Tokenism der betont liberalen Gesellschaft, von der Hobrack laut Neft erzählt, keinen höheren Wert produziert.

Klingt jedenfalls nach einem ganz interessanten Versuchsaufbau. Hier gehts zum Gespräch über das Buch im Podcast und hier zu den Verlagsinformationen zum Buch.

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