Auf der Nordseeinsel Norderney pflegt man ein entspanntes Verhältnis zum Kaiserreich — und damit auch zur eigenen Geschichte.
Überall findet man hier Spuren der Vergangenheit als königliches Seebad: An einer Pension klärt ein überdimensioniertes Schild darüber auf, dass Bismarck einst in diesem Mauern nächtigte. Andernorts informiert eine Tafel vor der früheren Villa Fresena, dass man hier vor Fürst von Bülows Sommerresidenz stehe und damit vorm »sommerlichen Mittelpunkt der Reichspolitik«.
Die Hotels heißen »Germania« und »Haus Kaiser Franz Josef«, Straßen sind nach Kaiser, Kanzler oder Generalfeldmarschall benannt. Das alles bleibt unkommentiert. Seit der inhabergeführte Buchladen der Insel durch eine Thalia-Filiale ersetzt wurde, liegen auch keine Studien zum Bäderantisemitismus mehr in den Auslagen, sondern nur noch Ostfriesenkrimis und Romane über die »goldenen Zwanziger«.
Ein Störgeräusch in diesem nostalgischen Idyll geht ausgerechnet vom Kaiser-Wilhelm-Denkmal vor der St.-Ludgerus-Kirche aus (rechts im Foto). Ab 1898 wurde es errichtet und sollte die Reichseinigung symbolisch nachvollziehen, indem man dafür Steinblöcke aus 75 Städten und Provinzen auf die Insel karrte. Es sind Steine aus Aachen und aus der Kölner Stadtmauer dabei, aus Posen und aus Fehrbellin, lauter symbolträchtiges Geröll.
Wegen der unterschiedlichen Formen der Steine ist das Bauwerk aber krumm und schief, das macht seine geradezu visionäre Kraft aus: Da steht also ein Denkmal des deutschen Nationalismus und wäre so gern eine Siegessäule, doch es sieht bloß aus wie ein Haufen Bombenschutt.
(Das Meer und die Dünen und die Architektur und der eiskalte Wind sind natürlich trotzdem unschlagbar.)
Apropos! Während ich hier urlaube haben meine Kolleg*innen auf ZEIT ONLINE ein Interview veröffentlicht, dass ich neulich mit dem Kunsthistoriker Jörg Schilling führte. Wir sprachen über das Bismarck-Denkmal im Alten Elbpark in Hamburg, seine Geschichte, seine Bedeutung. Klicken Sie dafür hier.