Krimis sind auch nicht besser als Groschenromane

Krimis sind der neue Goldstandard der Literaturkritik. Das ist nicht mein Gedanke, das las ich neulich in einem Interview, meine ich (aber ich welchem? Es ist leider nicht mehr zu rekonstruieren). Darin klagte jemand, dass heute das höchste Lob eines Kritikers oder einer Kritikerin in der Formulierung läge: »Spannend wie ein Krimi!«

Wer »spannend wie ein Krimi« googlet, dem entfaltet sich das Feld, in dem diese Floskel Anwendung findet – und dieses Feld ist riesig. Es umfasst Literatur aller Art, Theater, Filme, Musik und mehr.

»Spannend wie ein Krimi«, das ist ein Gegenwartsroman, ein naturwissenschaftliches Sachbuch, eine historische Studie, Kammermusik von Brahms, eine Messe in e-Moll, eine Archivrecherche zum Mauerfall, eine Biografie des Ministerpräsidenten von ThĂĽringen, eine Ausstellung im Haus der Geschichte Baden-WĂĽrttemberg, ein Spielfilm ĂĽber Gentrifizierung in Istanbul, Kindertheater in Pinneberg, […].

Ich zitiere und verlinke hier übrigens nur Texte von Menschen, die fürs Hinsehen, Urteilen, Formulieren und Schreiben bezahlt werden. Erweitert man die Quellenauswahl über die professionellen journalistischen Medien hinaus, findet man auch die Behauptung, Schönheitspflege, Kaltakquise und PowerPoint seien »spannend wie ein Krimi«. (Aber da wird die Behauptung langsam wirklich unseriös.)

Bleibt noch die Frage: Sind Krimis ĂĽberhaupt spannend? Wenn Sie mich fragen: nein. An den letzten Tatort, bei dem ich im Anschluss nicht meiner verlorenen Lebenszeit hinterhertrauerte, kann ich mich nicht mehr erinnern. Die erste Staffel von True Detective habe ich zugegebenermaĂźen gerne gesehen, das ist aber bald zehn Jahre her.

Las ich je einen lesenswerten Krimi? Mir fällt keiner ein. Der Krimi ist die langweiligste literarische Form, die ich mir vorstellen kann. Keine Ahnung, wieso das so ist, aber es ist so. Paul Austers New York Trilogy habe ich im Studium verschlungen, war fasziniert von Ödön von Horváths Jugend ohne Gott und habe als Journalist natürlich schon allein aus Respekt vor den Großen meines Fachs Kaltblütig von Truman Capote gelesen.

Aber echte Krimis? Nope. Kommissare, Gerichtsmediziner, Privatdetektive – ich halte das einfach nicht aus. Clues, Plot Twists, Happy Ends – verschont mich! Selbst für Raymond Chandler fehlt mir die Geduld, dabei verstehe ich schon, dass sich an dieser Stelle aus meiner kriminalliterarischen Ignoranz eine Bildungslücke ergibt.

In der recht interessanten Zeitschrift Barbara las ich nun ein Interview, das Sandra Winkler mit der Autorin Eva-Maria Ottillinger gefĂĽhrt hat und das mir aus der Seele spricht.

Ottillinger ist besser bekannt unter den Namen Carolin Schreier, Carolin Weißbacher oder Carolin Grahl. Unter diesen Namen schreibt sie Groschenromane für den Kelter-Verlag, in den Genres »Adel«, »Heimat« und »Arzt«. (Ottillinger: »Für die Adelsromane nimmt man eher elegante Namen, bei den Heimatgeschichten bodenständige. Und in den Arzt-Heftromanen sollen die Autoren kompetent klingen.«)

Hier ein Ausschnitt aus dem Interview:

Winkler: Viele Menschen machen sich lustig über kitschige Groschenromane, die – so wie es gern man in der Zusammenfassung steht – die Herzen der Leserinnen höherschlagen lassen.

Ottillinger: Die Kritik an der Trivialliteratur mag ein gewisse Berechtigung haben. Aber […] letztendlich sind Krimis doch auch typische Happy-End-Romane.

Winkler: Aber ein Krimi hat doch nichts mit den weichgespĂĽlten Geschichten in den Groschenromanen zu tun.

Ottillinger: Na ja. Es werden zwar Leute umgebracht und es fließt ein bisschen Blut – aber der Täter wird gefasst. Immer. Das ist im wirklichen Leben doch auch nicht so. Und die Fälle sind oft subtiler. Aber ich glaube, dass es mit zum Erfolgt des Krimis beiträgt, dass den Leuten am Ende das Gefühl von Gerechtigkeit vermittelt wird.

Ich habe Eva-Maria Ottillinger gelesen und ich fĂĽhlte mich sogleich verstanden, geborgen und etwas weniger allein auf der Welt. Das ist als Autorin von Groschenromanen ihr Job, schon klar.

Aber wie schön es ist, dass da mal wenigstens ein Mensch ist, der nicht alles »spannend wie ein Krimi« findet. Sondern Krimis eher langweilig. Danke, liebe Frau Ottillinger.

Die Ausgabe von Barbara (Nr. 73, März 2023) gibt es hier.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ă„ndern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ă„ndern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ă„ndern )

Verbinde mit %s