False Friends: Was heißt »Weimar« auf Deutsch? Und was »Hindenburg«?

Im Fremdsprachen-Unterricht ist manchmal von false friends die Rede: Wörter, die ähnlich klingen, aber nicht dasselbe bedeuten. Das englische Wort warehouse klingt beispielsweise wie das deutsche »Warenhaus« (also »Kaufhaus«). Tatsächlich ist es mit »Lagerhalle« korrekt übersetzt. Das englische Wort für »Kaufhaus« ist department store.

Die false friends sind eine Falle, in die manchmal selbst professionelle Übersetzerinnen und Übersetzer tappen. Ich erinnere mich noch daran, wie ich vor rund zehn Jahren den Roman The Taqwacores des amerikanischen Autoren Michael Muhammad Knight in der deutschen Übersetzung las. Es geht in dem Roman um eine Gruppe muslimischer Punks, junge Menschen, die gläubig sind, aber nicht unbedingt regelkonform. Und, wow, wie rebellisch die waren! Da stand sogar, einer der Protagonisten esse gelegentlich Pizza mit Peperoni!

Äh, … und? Was ist das Problem? Ganz einfach: Es handelt sich um einen false friend. Das englische Wort peperoni pizza heißt auf Deutsch »Salami-Pizza« und Salami besteht aus Schweinefleisch, ist für Muslime also verboten. (Etwas ausführlicher habe ich über den Roman The Taqwacores in der Popzeitschrift Spex sowie hier geschrieben.)

Von einem false friend im weiteren Sinne – nämlich von historischen Begriffen, die auf unterschiedlichen Seiten des Atlantiks unterschiedliche Dinge bezeichnen – las ich neulich in einem Interview mit dem Kulturwissenschaftler Wolfgang Schivelbusch. In dem Buch Die andere Seite. Leben und forschen zwischen New York und Berlin spricht er über die Bedeutung des Begriffs »Weimar« im Deutschen und im Englischen.

Schivelbusch sagt:

»›Weimar‹ hat die Bedeutung von politischer Instabilität, Polarisierung und bürgerkriegsähnlichen Zuständen nur in Deutschland. Für die gebildeten Amerikaner bedeutet Weimar die erste deutsche Republik von 1919. Darüber hinaus aber spezifisch das, was in der Zeit zwischen 1919 und 1933 in Deutschland kulturell geschaffen wurde. Noch spezifischer: die deutsche Moderne und ihre Leistungen, bevor sie von den Nazis liquidiert wurde. Die Erkennungsmarken, mit denen Amerikaner ›Weimar‹ verbinden, heißen: Bauhaus und Gropius, Kritische Theorie, Zwölftonmusik, Brecht, Weill, Walter Benjamin und so weiter. Weimar bedeutet im amerikanischen Sprachgebrauch das gute, das heißt moderne und liberale Deutschland, im Gegensatz zum dunklen, barbarischen Deutschland des Dritten Reichs.

So erklärt sich auch, warum der amerikanische Germanist Ehrhard Bahr, als er vom Leben deutscher intellektueller Exilanten in Los Angeles erzählte, also von Leuten wie Thomas Mann, Theodor W. Adorno, Bertolt Brecht, Fritz Lang, und Arnold Schönberg, für sein Buch den Titel Weimar on the Pacific wählte. Der Titel meint nicht »politische Instabilität an der Pazifikküste«, sondern das gute Deutschland im kalifornischen Exil.

(Als Thomas Blubacher sich vor Kurzem demselben Thema widmete, nannte er sein Buch interessanterweise Weimar unter Palmen, meinte damit aber auch nicht »bürgerkriegsähnliche Zustände unter Palmen«, sondern Thomas Mann usw. Womöglich ließ sich der Autor oder jemand im Verlag von Bahrs Buch zum Titel inspirieren – und bemerkte nicht den false friend?)

Ich musste an all das denken, als ich in dieser Woche von einer amerikanischen Investmentfirma namens Hindenburg Research las. Hindenburg Research betreibt Shortselling (deutsch: Leerverkäufe), d.h. diese Leute haben sich einer Investmentstrategie verschrieben, bei der sie immer dann Geld verdienen, wenn eine Unternehmensaktie an Wert verliert. Deshalb versuchen sie, Wertverluste einzelner Unternehmen am Börsenmarkt aktiv herbeizuführen, indem sie mutmaßliches Fehlverhalten, Bilanzmanipulationen und dergleichen aufdecken (oder zumindest behaupten, dass sie etwas aufgedeckt hätten).

Der Brite Fraser Perring hat das Prinzip in Deutschland bekannt gemacht, als er es mit Wirecard aufnahm, einem Unternehmen, das sich tatsächlich als betrügerisch erwies und – als sich das herumsprach – an den Aktienmärkten abschmierte. Das Wirecard-Vorstandsmitglied Jan Marsalek wird seitdem von der Staatsanwaltschaft München per Steckbrief gesucht. Vorwurf: »Betrug in Milliardenhöhe«. Viele Anlegerinnen und Anleger haben mit Wirecard-Aktien Geld verloren. Perring hingegen wurde reich dadurch, dass er gegen Wirecard wettete, während er belastendes Material über den Konzern veröffentlichte.

OK, wie aber kommt Hindenburg Research zu seinem Namen? Was hat dieser Mann:

Paul_von_Hindenbug_als_Major_im_Generalstab

Paul von Hindenburg, der Generalfeldmarschall im Ersten Weltkrieg, der später als Reichspräsident Adolf Hitler zum Reichskanzler machte, mit etwas dubiosen Investmentstrategien zu tun? Antwort: nichts.

Ganz ähnlich wie es Wolfgang Schivelbusch über die unterschiedlichen Bedeutungen des Wortes »Weimar« im Deutschen und im (amerikanischen) Englisch sagt, meinen Amerikanerinnen und Amerikaner mit »Hindenburg« etwas anderes als Deutsche. Nämlich nicht den General/Reichspräsidenten, sondern das Luftschiff:

Hindenburg_disaster

Der Zeppelin LZ 129, genannt »Hindenburg«, war so etwas wie die Titanic der Lüfte, eines der größten jemals gebauten Luftfahrzeuge mit einer Länge von rund 245 Metern (zum Vergleich: ein Airbus A340 ist etwas über 75 Meter lang). Am 6. Mai 1937, da war sie noch nicht viel älter als ein Jahr, ging die »Hindenburg« bei einer Landung im amerikanischen Staat New Jersey in Flammen auf. 35 Menschen starben. Es war das vorläufige Ende der Zeppeline.

In den USA brannte (no pun intended) sich dieses Ereignis in die kollektive Erinnerung ein, wie es der deutsche Reichskanzler gleichen Namens nicht vermochte. In der englischsprachigen Popkultur finden sich immer wieder Referenzen auf die, nicht den, Hindenburg.

Das brennende Luftschiff ist etwa auf dem Cover des Debütalbums der britischen Rockband Led Zeppelin zu sehen, Jurassic 5 rappen in Concrete Schoolyard irgendwas wie »we rockin‘ shots and not fire through the Hindenburg«, was ich ehrlich gesagt nicht verstehe, sich aber definitiv nicht auf Paul von H. bezieht (nachzuhören hier) und auch Hindenburg Research meint mit seinem Namen das Luftschiff:

»Why ›Hindenburg‹? We view the Hindenburg as the epitome of a totally man-made, totally avoidable disaster. Almost 100 people were loaded onto a balloon filled with the most flammable element in the universe. This was despite dozens of earlier hydrogen-based aircraft meeting with similar fates. Nonetheless, the operators of the Hindenburg forged ahead, adopting the oft-cited Wall Street maxim of ›this time is different‹. We look for similar man-made disasters floating around in the market and aim to shed light on them before they lure in more unsuspecting victims.«

So steht es auf der Website der Firma. Wofür steht der englische Begriff »Hindenburg«? Für die absolut vermeidbare Katastrophe. Wobei – dafür steht der deutsche Hindenburg auch. Vielleicht sind es also doch gar keine false friends.

Bildquellen: Beide historische Fotos stammen aus der Wikipedia, von hier und hier, und sollten demnach gemeinfrei sein.

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