Zu Besuch in der Superheldinnen-WG

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Comicfestival

Die Zeichnerin Marijpol hat sich für ihren Comic Hort die WG dreier Superheldinnen ausgedacht: Petra ist eine Bodybuilderin, Ulla eine Riesin und Denise experimentiert mit Körpermodifikationen (da, wo bei anderen Arme und Beine sind, ragen bei ihr lebende Schlangen aus Hosenbeinen und Ärmeln).

Allerdings sind es drei Superheldinnen, die nicht Verbrecher jagen, sondern versuchen, mit ihrem Alltag klarzukommen, eine ungleich schwierigere Aufgabe.

Ulla etwa hat Ärger mit ihrem Freund, der gern ein Kind möchte, was Ulla nicht will. Petra verwandelt ihren Körper durch Muskeltraining und Proteinshakes in einen äußerlich fast asexuellen Ausdruck ihrer Willensstärke – doch als eine Firma sie zum Vorbild einer Actionfigur nimmt, hat diese riesige Brüste (Denise kommentiert: »Ich dachte, das wird eine Actionfigur und nicht so eine Wichsvorlage«).

Die drei sind permanent im Konflikt mit Erwartungen an ihre Weiblichkeit. Dann bemerken sie eines Tages drei kleine Kinder. Diese leben in einer verwahrlosten Nachbarwohnung und wurden dort offenbar von ihren Eltern zurückgelassen. Petra, Ulla und Denise laden die Kinder ein, kochen für sie, spielen mit ihnen und übernehmen zunehmend Verantwortung. Aus der WG wird eine Familie.

Hort wurde als »queer« und »feministisch« gedeutet, was schon deshalb naheliegt, weil die Zeichnungen in Lilatönen gehalten sind. Man könnte den Comic aber auch als Erzählung mit einer konservativen Moral interpretieren: Drei Großstädterinnen, deren Leben nur um ihre Selbstentwürfe kreist, dabei aber von einer spürbaren Leere geprägt ist, werden schließlich von ihrer Biologie eingeholt – und erst als Mütter glücklich.

Vermutlich greifen beide Lesarten zu kurz. Denn diese Geschichte erzählt zwar von Frauen, aber nicht von einem Problem, das nur sie betrifft. Der Konflikt zwischen Selbstverwirklichung und Sorgearbeit, also die Frage, welchen Raum man in seinem Leben sich selbst und anderen einräumt, ist eine der großen Sinnfragen unserer Zeit. Sie betrifft nicht nur Superheldinnen, sondern alle Menschen.

Erschienen in der Edition Moderne. Eine Ausstellung des Comics gibt’s am Wochenende beim Comicfestival Hamburg im Raum für Illustration auf St. Pauli. Noch mehr Comics von Hamburger Zeichner*innen empfehle ich hier auf ZEIT ONLINE (frei lesbar).

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