»Amazons of Pop«: Hausfrauen, Sexpuppen & Superheldinnen

Amazonsofpop

Am beinahe letzten möglichen Tag habe ich mir heute die Ausstellung Amazons of Pop: Künstlerinnen, Superheldinnen, Ikonen (1961–1973) in der Kunsthalle in Kiel angeschaut. Und, wow, was für ein Glück. Die Ausstellung ist so super, dass sich die Anreise aus Hamburg und der freie Tag, den man sich dafür nehmen muss, gelohnt haben.

Ich kam mit der Erwartung, eine Korrektur am Pop-Art-Kanon zu sehen und Künstlerinnen zu entdecken, die im Schatten ihrer männlichen Kollegen (Warhol, Lichtenstein, etc.) stehen und auch durch das Interesse an der Feministischen Avantgarde der 1970er-Jahre bisher nicht zu ihrem Recht kamen.

Und, ja, das ist ein Teil dessen, was hier passiert. Aber es geht um mehr. Was mich für diese Ausstellung einnimmt ist, dass sie nicht Kunst isoliert zeigt, sondern im kulturellen Verbund mit Pop-Musik, Fernsehen und überhaupt Massenkultur und Konsum. Es geht hier nicht um das »Wahre, Schöne, Gute«, sondern um die Zeitgeschichte der 1960er-Jahre.

Noch ehe ich die Ausstellungsräume betrete, sehe ich auf einem Monitor neben der Eingangstür die Aufzeichnung eines Auftritts von Serge Gainsbourg und Brigitte Bardot mit ihrem Song Comic Strip aus den Jahr 1967. In diesem Video steckt schon fast alles drin, das im Folgenden eine Rolle spielen wird. Zum Beispiel Kultur, die andere Kultur (niederen Grades) aufgreift: »Cross the border, close the gap!« Wir hören einen Chanson, dessen Refrain sich aber weder um besondere Poetik, noch überhaupt um menschliche Sprache bemüht, sondern aus lautmalerischen Comic-Sounds besteht: »She-bam«, »Pow!«, »Pop!«, »Wizz!«.

(Diese vier Worte trägt auch die Ausstellung von den Kuratorinnen Hélène Guenin und Géraldine Gourbe am MAMAC in Nizza als Titel, die Amazons of Pop zu Grunde liegt.)

Dazu sieht man Brigitte Bardot im eng anliegenden, fleischfarbenen Onesie (auf den ersten Blick könnte man sie für nackt halten) mit schwarze Overknee-Boots, Cape und goldene Kettchen um Hüfte und Oberschenkel. Das ist also die Pop-Amazone, die diese Ausstellung im Titel führt. Eine ermächtigte Frau — irgendwie. Gleichzeitig eine Männerfantasie.

Serge Gainsbourg ist der Wortführer in diesem Song, er singt die textlastigen Strophen. Einen Körper hat er nur, weil er halt einen hat, aber nicht, damit ihn die Kamera abfährt. Bardot hingegen ist zum Anschauen da und drückt zum »Pop«-Sound die Brust raus, ehe die Kamera ein Close-Ups ihrer Lippen zeigt: »Wizz«! Diese Lautmalerei ist vielleicht eine Vorwegnahme des Seufzens und Stöhnens, das – aller poppig bunten Unschuld entkleidet – wenige Jahre später Jane Birkin zum gemeinsamen Song mit Serge Gainsbourg beisteuern wird.

Es besteht wohl auch kein Zweifel, dass es schon in Comic Strip in einer der für Gainsbourg typischen Mehrdeutigkeiten nicht nur um Comic geht, sondern, wenn Bardot ihren Körper an eine dünne Metallstange drückt und ihre Handflächen darüber fahren lässt, auch um Strip.

Nachdem ich einige Schritte weiter in den Ausstellungsraum hineingegangen bin, flimmert dann – fast lebensgroß projiziert – Jane Fonda als Barbarella (1968) über eine Wand. Dass es sich um Jane Fonda handelt, sehe ich zunächst aber nicht. Stattdessen schwebt ein Körper schwerelos in einem Weltraumanzug, dessen Material ein bisschen an Luftpolsterpapier erinnert (es muss sich etwas wertvolles und zerbrechliches darin befinden).

Dann beginnt der Astronaut zu strippen: Er – nein, sie – streift als erstes die Weltraumhandschuhe über den perfekt manikürten Händen ab. Dann entfernt sie ihre Hosenbeine, eines nach dem anderen. Den Unterleib der Astronautin bedeckt nun nur noch ein dunkler Slip, ihre langen nackten Beine schweben durch den Raum und die Schwerelosigkeit ihres Körpers erlaubt es der Kamera, ohne große Mühe auf ihren Po und in ihren Schritt zu filmen.

Schließlich sehen wir ihren zunächst undurchsichtigen Helm, hinter dessen Glas Zentimeter für Zentimeter ein Frauenkopf sichtbar wird: gewelltes rotblondes Haar, mit Kajal und Wimperntusche geschminkte Augen, ein roter Mund, die Lippen leicht geöffnet. Eine Frau packt sich aus. Eine Frau? Eine Sexgöttin from outer space!

Zu diesem Spektakel läuft die Barbarella Theme, softer Bigband-Jazz, mit einer männlichen Gesangsstimme: »It’s a wonder, wonder woman, you’re so wild and wonderful«. Wieder ist es der Mann, dem die Sprache gehört, während die Frauenstimmen im Soundtrack nur hauchen und stöhnen: »Haaah«, »Aaaaah«.

Amazons of Pop zeigt nun, wie Künstlerinnen in den 1960er-Jahren diese Ästhetiken in ihren Bildern aufnahmen und sich teils auch – wie Niki de Saint Phalle – selbst in Superheldinnen-Onesies und waffenstarrend inszenierten. Allerdings: In ihrem Video ist es de Saint Phalle, die redet, kein Mann. Sie erschießt ihren Daddy, während im Hintergrund in der Ausstellung ein Song von Marilyn Monroe dudelt: »My heart belongs to daddy.« Da ist sie wieder, die Spannung zwischen Selbstermächtigung in ihrer radikalsten Form – und der Männerfantasie.

marjoriestrider

Unter der Konsumlust der Nachkriegsjahre liegt der Sex, das betont Amazons of Pop mit den hier gezeigten Bildern wieder und wieder. Norman Mailer schrieb in einem Essay Ende der 1950er-Jahre sinngemäß, früher sei einem das Auto mit dem Versprechen verkauft worden, dass man damit das Mädchen bekomme. Heute aber sei das Versprechen, dass das Auto selbst das Mädchen sei und die sexuelle Erfüllung nie größer werde, als wenn man sich in das weiche Leder des rosaroten Cadillac sinken lasse. 

Ähnliches gelte für Frauen: Die Supermärkte seien voll von Sprühdosen, mit denen man sich die Haare schön machen könne, um den Typen zu kriegen. Dabei seien die Dosen selbst wie Schwänze geformt, die man anfassen, vergleichen, mit nach Hause nehmen kann. Tenor des Essays: Die amerikanische Gesellschaft bekämpfte zwar vordergründig alles »Obszöne« (Ende der 1950er-Jahre konnte es Zeitzeugen zufolge vorkommen, dass eine Zeitschrift wie die Paris Review, wenn sie das Wort »fuck« enthielt, von der amerikanischen Post nicht zugestellt, sondern vernichtet wurde). Doch tatsächlich sei die Konsumwelt durchdrungen von Wollust.

Die These Norman Mailers ist älter als es die in Amazons of Pop gezeigten Bilder sind, doch sie wird gleich ein bisschen weniger originell, wenn man sieht, wie in den 1960er-Jahren Künstlerinnen genau das zeigen: Die ganze Konsumgesellschaft ist pornografisch. Unter der dünnen Firniss der Zivilisation pulsiert die nackte Geilheit.

Da ist zum Beispiel das Gemälde Ice Cream 1 von Evelyne Axell aus dem Jahr 1964: Eine junge Frau leckt mit geschlossenen Augen ein Eis, dass sie mit der Faust umfasst, und das in seiner Farbe und Form so sehr an einen erigierten Penis erinnert, das man glaubt, nur die Farbe abscharben zu müssen, um das Porno-Foto freizulegen, das die Künstlerin für ihr Gemälde übermalt haben muss. (Aber natürlich handelt es sich nicht um ein übermaltes Foto, sondern um Öl auf Leinwand.)

Marjorie Strider zeigt mit Girl with Open Mouth aus dem Jahr 1963 ein skulpturales Gemälde (siehe Foto oben). Eine Comicfrau hat den leuchtend roten Mund zu einem perfekten »O« geöffnet, als wäre sie eine dieser aufblasbaren Sexpuppen, dahinter öffnet sich der Mundraum bestimmt zehn Zentimeter tief hinter die Leinwand. Ist das erniedrigend? Ich glaube, es ist eher ein subversiver Spaß der Künstlerin: Denn jeder Penis, von dem sein Besitzer eben noch ganz eingenommen war, wird kümmerlich klein vor diesem Riesenmund. Und die ebenfalls plastisch dargestellten, strahlend weißen Zähne hängen — anders als bei einer Sexpuppe — im Mund der Frau wie die blitzende Klinge einer Guillotine. Hinter roten Lippen verbirgt sich eine vagina dentata.

martharosler

Eine schöne Neuentdeckung war für mich Martha Roslers Cosmic Kitchen I, das als Teil der Reihe House Beautiful: The Colonies (1966 – 1972) entstand. Zu sehen ist ein schwarzweißes Katalogfoto einer Einbauküche, durch deren Fenster (in kosmischen Blautönen und voller Sterne) der Weltraum leuchtet (siehe Foto oben).

Ich musste an mein Gespräch mit der Kunstwissenschaftlerin Rosanna Umbach denken, die über Gender- und Familiendarstellungen in der Zeitschrift Schöner Wohnen der 1960er- und 1970er-Jahre promoviert und über die Zukunftsvisionen dieser Zeitschrift sagte:

Man stellte sich das Jahr 2000 so vor, dass die Hausfrauen viel Zeit zum Tennisspielen haben würden und höchstens mal in die Küche gehen, um nach einem Atomtest im Pazifik mit dem Geigerzähler die Fischkonserven zu untersuchen. Doch Hausfrauen gab es weiterhin und die heteronormative Familie blieb auch in der Zukunftsvorstellung als das soziale Gefüge bestehen. Manche Veränderungen schienen damals offenbar undenkbar.

Martha Rosler scheint diese Vorstellung schon damals durch ihre Collage spöttisch zu kommentieren. Sie ist dieselbe Künstlerin, die die berühmten Bringing the War Home-Collagen gemacht hat, ebenfalls mit Material aus der Zeitschrift House Beautiful, quasi dem amerikanischen Schöner Wohnen.

(Und die suburbane Hausfrau war für Betty Friedan und andere der Ausgangspunkt der Neuen Frauenbewegung in den Vereinigten Staaten, damit wären wir wieder beim Thema Selbstermächtigung.)

Die Chronologie der Ausstellung, die mit dem Auftauchen der Pop-Amazone beginnt, endet dann etwas unentschieden im Nichts, sie verläuft sich im Dschungel der Gegenkulturen der 1970er-Jahre, irgendwo zwischen Vietnam-Protest (da begegnet uns wieder Jane Fonda) und Subkultur-Business, ohne echtes Finale und ohne Endpunkt. Das ist etwas schade. Ich gerne noch mehr gesehen von der faszinierenden Arbeit der Kuratorinnen.

»Amazons of Pop: Künstlerinnen, Superheldinnen, Ikonen (1961–1973)«, läuft seit dem 2. Oktober 2021 und noch bis zum 6. März 2022 in der Kunsthalle zu Kiel. Kuratiert haben Hélène Guenin und Géraldine Gourbe (Hauptkuratorinnen) sowie Regina Göckede und Anette Hüsch (Kunsthalle Kiel). Es gibt einen Katalog.

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