Super faszinierendes Interview mit Thomas Seitel im neuen Zeit Magazin. Thomas wer? Eben. Das ist das Problem. Thomas Seitel ist »der Neue« von Helene Fischer. Und das macht ihn offenbar fertig. Dass er für viele Leute nur »der Neue« ist. »Ich habe einen eigenen Namen«, ist das Interview überschrieben (Hier ist der Link zum Interview, abopflichtig).
Seitel äußert sich dort zu den vielfältigen Ungerechtigkeiten, die ihm durch »die Berichterstattung« widerfahren:
Es werden Lügen verbreitet und Unwahrheiten geschrieben, zum Beispiel, dass ich Tänzer bin. Ich bin kein Tänzer. Ich bin Akrobat, und zwar mit Leidenschaft.
Andere Vorwürfe, die gegen ihn erhoben wurden, sind, dass er ein Stripper gewesen sei (Seitel dementiert das) und dass er ein »Schmarotzer-Verhalten« an den Tag lege (Seitel dementiert das).
Ein paar Gedanken dazu:
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Seitel hat Sportjournalismus studiert und als Journalist gearbeitet, er kennt also die Medienlandschaft. Trotzdem sagt er »die Berichterstattung« als meinte er die Süddeutsche Zeitung oder Die Tagesschau. Namen von Medien werden in dem Interview nicht genannt, aber man kann wohl davon ausgehen, dass er tatsächlich eher Das Goldene Blatt meint, Das neue Blatt, Neue Welt, Freizeit Woche, Freizeit für meinen Tag und andere.
Das sind zumindest die Zeitschriften, die das Journalismuskritikblog Übermedien in einem Beitrag zur »Berichterstattung« über Thomas Seitel zusammengestellt hat.
(Ich glaube, niemand außer Thomas Seitel nennt das, was dort passiert, »Berichterstattung«, aber ich könnte mich irren.)
Warum liest Seitel den Scheiß überhaupt? Tut das sonst irgendwer in seinem Umfeld, mit seinem Bildungsabschluss? Tut es seine Freundin? Könnte er nicht einfach ein bisschen schneller am Supermarktregal mit den Schundblättern vorbeigehen und das Zeug links liegen lassen? Unklar. Egal.
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Um es klar zu sagen: Seitels Situation ist undankbar. Er ist mit einer Frau zusammen, deren Erfolg nicht zuletzt darauf basiert, dass sie jede Woche in genau diesen Blättern stattfindet. Jede Woche. Jede. Woche.
Helene Fischer nützte der Rummel bisher: Wenn sie ihren Namen für eine neue Klamotten-Kollektion verkaufte, druckten die Käseblätter die Werbefotos mit ihr in den Klamotten, der Absender (also der Hersteller der Kleider und der Werbefotis) war nur im kleingedruckten Fotocredit zu erkennen, und die Zeile behauptete, die Bilder zeigten »Helene ganz privat« oder so ähnlich. Helene Fischer ist die erfolgreichste deutsche Influencerin, was man schnell übersieht, weil ihr Medium nicht Instagram ist. Ihr Medium ist das Zeitschriftenregal im Supermarkt.
Seitel hat keine Klamotten-Kollektion und auch sonst nix zu verkaufen. Er hat eine prominente Freundin und will seine Ruhe. Er kann bei diesem Spiel nichts gewinnen.
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Trotzdem. Wieso diese Dünnhäutigkeit? Auf die Gefahr des Whataboutismus: Was Thomas Seitel erlebt, scheint keineswegs so einzigartig zu sein. Es ist eher die Regel. Jedenfalls, wenn es um bis dato eher unbekannte Frauen an der Seite von bekannten, erfolgreichen Männern geht.
Die Vorwürfe, die Seitel erlebt, stammen aus dem Standardrepertoire: Die Person in die Nähe von Sexarbeit rücken. Ihre eigenen Talente kleinreden. Ihr Schmarotzertum vorwerfen. (Etc.) Fragt Naddel. Fragt Bettina Wulff. (Etc.)
Das macht es nicht besser, aber das macht diesen Fall so interessant: Wenn es bald häufiger vorkommt, dass unbekannte Männer mit bekannten, begehrten, viel besser bezahlten Frauen zusammen sind, dann werden wir das wohl noch öfter erleben.
Seitel ist ein Pionier, er könnte ein Messias der letzten Tage des Patriarchats sein, gekreuzigt für alle Männer an der Seite großer Frauen. Was sagt eigentlich Joachim Sauer dazu?
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Andererseits, von wegen Patriarchat: Wenn es Teil des alten Männerspiels ist, dass derjenige gewinnt, der die größten Muskeln hat und mit der begehrtesten Frau schläft, dann ist Thomas Seitel ziemlich eindeutig der Doppelsieger.
(Er ist Akrobat, und zwar mit Leidenschaft. Und er ist mit Helene Fischer zusammen, die in der vom Magazin Forbes veröffentlichten Weltrangliste der bestbezahlten weiblichen Popstars nur von Rihanna und Beyoncé und wenigen anderen überboten wird – bezeichnendes Detail: ihr großes Vorbild Céline Dion hat Helene Fischer bereits überholt).
Warum klingt Thomas Seitel trotzdem wie ein Verlierer?
Ist am Ende nichts so wichtig wie Anerkennung (»Ich habe einen eigenen Namen«)? Oder fehlen uns nur die Vorbilder für den Trophy Boyfriend, der sich seines Lebens erfreut, weil er alles hat und ansonsten gilt: haters gonna hate?
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Aus Sicht der Krisenkommunikation: Warum lässt Helene Fischer ihren Boyfriend allein? Warum muss er die ganze Peinlichkeit seiner Situation alleine auswälzen, warum stärkt sie ihm nicht öffentlich den Rücken?
Und Flori Silbereisen: Wäre nicht ideal gewesen, die drei hätten das Interview zusammengegeben, wenn alle drei offenbar doch behaupten, sie seien alle mit der neuen Pärchensituation glücklich?
(6)
Schreibe ich gerade wirklich 700 Wörter über Helene Fischer und ihren Boyfriend, weil mich das Thema seit gestern nicht mehr loslässt? 🤯