1968 ist keine Jahreszahl

Wovon reden wir, wenn wir von „1968“ reden? Das Hamburger Abendblatt hat sich heute daran versucht, „1968“ in einigen historischen Schlaglichtern zum umreißen:

Was hat die Menschen 1968 bewegt – in Hamburg, Deutschland und der Welt? Da gab es die Mondlandung des Amerikaners Neil Armstrong, die 500 Millionen Menschen an den Fernsehbildschirmen verfolgten. Anti-Schah-Demonstrationen in West-Berlin. Dürrekatastrophen und Hungersnöte in der Sahelzone. Den Napalmangriff südvietnamesischer Flugzeuge nahe Saigon.

Das finde ich interessant. Denn, ja, die Saheldürre begann 1968 und die (kriegsbedingte) Hungersnot in Biafra war im August 1968 Titelthema des Spiegels, bewegte also wohl tatsächlich im besagten Jahr die Menschen in Hamburg und in Deutschland.

Doch die Mondlandung war 1969. Die Anti-Schah-Demo in West-Berlin war 1967. Napalmbombardements in Vietnam begannen bereits 1965, zunächst durch die Amerikaner, später auch durch Südvietnamesen. Da hier von einen einzelnen Angriff „nahe Saigon“ die Rede ist, könnte es sein, dass der einprägsam von dem Fotojournalisten Nick Út festgehaltene Angriff gemeint ist. Dieser ereignete sich 1972.

Von vier zu „1968“ genannten historischen Ereignissen fällt gerademal eines ins Jahr 1968. Entweder die Autorin des Hamburger Abendblatts hat schlampig gearbeitet – oder „1968“ ist gar keine Jahreszahl.

Einiges spricht für letzteres. Als „Chiffre“ hat der Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar „1968“ vor rund zwanzig Jahren beschrieben. „1968“ ist demnach ein Codewort für etwas anderes.

Was dieses „Andere“ ist, hängt davon ab, wer spricht. Für den Philosophen Martin Saar war 1968 beispielsweise der Ausgangspunkt für eine „Demokratisierung der Demokratie“ oder für eine „Verteidigung, Vertiefung und Ausweitung der Demokratie“. Für den CSU-Politiker Alexander Dobrindt war 1968 irgendwie furchtbar … .

Was mit „1968“ gemeint ist, ist jedenfalls weit weniger eindeutig, als das die Klarheit der vermeintlichen Jahreszahl zu suggerieren scheint.

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